Werner Arndt
Ausstellung vom 11. März - 25. April 1982
Ostdeutsche Galerie Regensburg


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Rupert Schreiner
VERSUCH ÜBER EINEN VIELSEITIGEN KÜNSTLER


I. Annäherung an Werner Arndt
Nach Jahren der Zurückhaltung beteiligte sich Werner Arndt 1980 erstmals wieder an einer Ausstellung der Künstlergilde. Er schickte drei große Bilder in die Ostdeutsche Galerie nach Regensburg für die Jahresausstellung "Menschen im Raum", die "Sitzende im geschwungenen Armstuhl (Mongolchen)" , die "Liegende auf gestreiftem Sofa" und den "Sitzenden, Kopf in den Händen" . Diese Bilder hoben sich mit wenigen anderen deutlich von den übrigen Beiträgen ab,
die sich vorrangig in konventioneller Sicht mit dem Begriff "Raum" auseinandersetzten. Mit
großer Spannung zeigen Arndts Bilder inhaltlich und kompositorisch ein vielschichtiges Verhältnis zwischen einzelnen Gestalten und dem sie umgebenden Raum.
Eine ungewöhnliche Perspektive führt den Blick von erhöhtem Standpunkt in kahle Zimmer, die sich jäh verkürzen. Der Hintergrund ist jeweils eine Wand mit geschlossener Tür. Sitzend oder liegend werden Menschen in diesen ungemütlichen Innenräumen vorgeführt, in denen sie auch noch in gleichsam imaginären Gefängnissen eingesperrt sind. Diese Gebilde ähneln offenen Käfigen, die sich aber jeder stereometrischen Definition entziehen. Diese Käfige in den zellenartigen Räumen sind nicht real sondern psychisch zu verstehen. Es sind Gefängnisse der Seele, die der Mensch in sich trägt. Die Ambivalenz der Darstellungen, die ineinander verwoben physischen und psychischen Raum zeigten, sorgte für die beeindruckende Wirkung. An ihnen wurde deutlich, daß menschliche Existenz sich nicht wirklich frei und ungehindert entfalten
kann, daß ihr nur ein durch subjektive und objektive Zwänge bestimmter "Raum" zur Verfügung steht.
Noch im selben Jahr vermittelte Werner Arndt der Ostdeutschen Galerie aus Privatbesitz die Dauerleihgabe seines "Ecce Homo" aus dem Jahr 1968. Verblüffend ist die Andersartigkeit
dieses kompliziert collagierten und teilzerstörten Materialkunstwerkes. In den ungewöhnlichen technischen Merkmalen und in der tatsächlichen "Verstrickung" des Werkes lagen aber auch wieder Verwandtschaften zu den gesehenen Bildern, die eine fremdartige, nur teilweise malerische Technik aufwiesen.
1981 beteiligte sich Werner Arndt an weiteren Ausstellungen der Künstlergilde. Zur Regensburger Jahresausstellung "Stilleben heute" schickte er Polyester-Reliefs und Assemblagen. Trotz der großen Spielbreite dessen, was heute in der bildenden Kunst zu diesem Thema gesagt werden kann, von der traditionellen Form bis zum Grenzbereich realistischer Darstellung, war sein
Beitrag einer der originellsten. Ulrich Kelber bescheinigte seinen Arbeiten die besondere provozierende" Aussage innerhalb dieser Ausstellung (Neue Passauer Zeitung, 10.6.81).
Seine Objekte "Nostalgie-Stilleben" und "Stilleben-Persiflage" "" erfaßten in höchstem Maße das heute" im Motto der Ausstellung, zeigten die ganze Fragwürdigkeit klassischer Themen in unserer Zeit.
Zur Esslinger Ausstellung "Künstler porträtieren Künstler" reichte er das Diptychon "Ernst Herhaus" ein. Auch damit führte er eine verblüffende Möglichkeit vor, wie das Problem des Porträts heute aufgefaßt werden kann, wie konventioneller Realismus wiederbelebt werden kann. Die Kombination von manieristischer Direktheit in der Zeichnung mit Käfigelementen und dem Mittel der ldentitätsstörung durch Auswischungen werden der Person des ehemaligen Alkoholikers, des Schriftstellers und langjährigen Sprachrohrs der Anonymen Alkoholiker in
hohem Maße gerecht.
Dennoch bringt erst diese Werkschau den eigentlichen Kern der Arbeiten von Werner Arndt nach Regensburg, seine sogenannten "Cager". Nur in zwei Ausstellungen wurden sie bisher als
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Werksgruppe öffentlich vorgestellt. Im allgemeinen lebt Arndt mit und unter seinen Werken im Metier im Steinbruch. Diese figuralen Objekte erzeugen dort durch ihre Massierung eine bedrängende Stimmung, überwältigen den Besucher durch ihre pessimistische Grundhaltung.
Das Schriftstück "Innere Gefangenschaft" von Ernst Herhaus legt davon anschaulich Zeugnis
ab.
In einfachen Rahmen sieht man realistische Abformungen menschlicher Wesen eingeschlossen. Eine unnatürliche Farbgebung relativiert die Wirkung, aber die Tatsache, daß man nur hohle Fragmente findet, schafft Unbehagen. Die Gliedmaßen und die Köpfe zeigen Angespanntheit
und Qual. Obwohl die Rahmen der Cager" keine wirklichen Käfige sind, ja sogar offen erscheinen, ist es den Restexistenzen, die von den Rahmen umschlossen werden, nicht möglich, sich selbst von ihrer Beengung, von ihrem Leid zu befreien, wie es dem eigenen ich normalerweise nicht möglich ist, psychische Störungen vollständig abzubauen, so ist es den Wesen in den "Cagern" nicht möglich, sich selbst zu befreien. Der "Aussteiger" , eines der jüngsten Objekte, zerbricht gleichsam bei dem Versuch, sein Gerüst zu verlassen, das ihn letztendlich auch stützt.

II. Vom Maler zum Bildhauer
Werner Arndt hatte als Künstler einen unglücklichen Start. Er studierte zwischen 1939 und 1943, als die nationalsozialistische Doktrin das Wesen der "deutschen Kunst" bestimmte. So schrieb Dr. Ulrich Schmidt vom Wiesbadener Museum über ihn: "...erst als er sich in Eisenbach
im Taunus niederließ begann eine, die eigene künstlerische Entwicklung mitbestimmende, ergebnisreiche Auseinandersetzung mit den fortgeschrittenen Tendenzen neuerer europäischer Kunst. Als 27jähriger erst konnte er den Austausch und die Kontakte frei suchen, finden, wählen und verarbeiten. Cezanne und Leger waren die bewunderten Vorbilder. Besonders aber an Beckmann und den deutschen Spätexpressionismus, dem der norddeutsche Arndt nahestand, lehnte er sich an und versuchte, von hier aus einen persönlichen Weg zu gehen, auf dem er
die vorgefundenen älteren Formerfindungen in seinem Sinn weiterentwickeln wollte."
Werner Arndt ist also vom Grunde her Maler und, was von besonderer Wichtigkeit ist, sein Selbstverständnis als Künstler ist durch den Realismus geprägt. Diese Einstellung wurde aber
für ihn zum existentiellen Problem. Schmidt schrieb dazu; "Zu einer für Werner Arndt
ungünstigen Zeit, 1953, als die gegenstandslose Kunst aufbrach und dem Höhepunkt ihrer Anerkennung zustrebte, zeigte er in einer Ausstellung sein bis dahin entstandenes Oeuvre. Aus eben dieser Situation der Zeit wird es verständlich, daß er erbitterte Gegner wie auch rückhaltlose Bewunderer fand, die in seinem Schaffen ein "großes Versprechen" sahen und ihn als eines der "wichtigsten Nachwuchstalente überhaupt" bezeichneten, das eine in den zwanziger Jahren geschaffene Kunstform weiterführen, die Tradition gegenständlicher Malerei aufrechterhalten sollte. Andere aber warfen ihm heftig eindeutiges Epigonentum vor, Rückgriffe auf Beckmann
vor allem. Arndt war zwischen die beiden Lager der Traditionalisten und Avantgardisten geraten!. Für eine vorurteilsfreie Betrachtung seines eigenen Talentes, das ihn z. B. zu neuen Farbwerten von zuweilen emailleartigem Charakter befähigte, blieb kein Raum mehr.
Dieser schweren Belastung gleich starker Zustimmung wie Angriffslust der Kritik war Werner Arndt nicht gewachsen. Verwirrt zog er sich zurück, um unberührt vom Streit der Meinungen arbeiten
zu können und einen völlig eigenen Ausdruck zu formulieren, den er, schließlich auch nach
eigenem Gefühl, nicht gefunden zu haben glaubte."
In der "Selbstverbannung" der sechziger Jahre entwickelte Werner Arndt einen neuen Stil. Dem Zeitgeschmack wenigstens teilweise Tribut zollend entwickelte er ungegenständliche Kompositionen aus Fundstücken, aus Strandgut. In dieser "maritimen Phase" blieb er dennoch ein dem Gegenstand verpflichteter Künstler, wenn er auch die Objekte nicht mehr darstellte, sondern sie direkt in die Werke einbezog. Die Produktivität jener Zeit war sehr unterschiedlich.
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Zum Rückzug gehörte auch, daß er sich vermehrt seinem Hobby, dem Bogenschießen,
zuwandte. Unter anderem nahm er an Weltmeisterschaften teil und trainierte zeitweise die
deutsche Damenmannschaft.
Aber nicht nur der Gegenstand selbst, auch das Abbild" eines Gegenstandes in seinen
vielfältigen Möglichkeiten reizte ihn, als er mit neuen Werkstoffen, vor allem Epoxydharz experimentierte. In einem besonders kennzeichnenden Werk dieser Zeit kombiniert er
mehrere Variationen der Wiedergabe. Ein Balkenstück aus dem Strandgut wird zusammen mit seinem gemalten Ebenbild in Öl, dem eigenen Abdruck und einem positiven Abguß des
Abdrucks in ein Bild versetzt. Die damals entwickelte Abgußtechnik, mit der auch im "Ecce Homo" operiert wird, führt relativ geradlinig zu den Abgußteilen der figuralen Objekte in den
siebziger Jahren. Gewandelt haben sich die Technik - vom Epoxydharz zu Gipsabformung
mit Polyesternachguß - und die Inhalte - vom leblosen Gegenstand zurück zum Hauptmotiv
aller Kunst, zum Menschen.
Abgüsse von Menschen sind nicht grundsätzlich neu. Die Tradition fußt auf der Wiedergabe
von Gliedmaßen als Votivgaben einerseits und von Abformungen in Gips, den bekannten
Lebend- und Totenmasken, aber auch den Abgüssen von Händen berühmter Persönlichkeiten andererseits. Die konsequente Verwendung von Körperabgüssen setzt dann etwa bei Antoni Gaudi ein, der für den Skulpturenschmuck seiner Sagrada Familia in Barcelona Abgüsse als Studien verwendete.
Der Abguß als eigentliches Bestandteil von Kunstwerken beginnt aber erst mit der Kunst nach dem zweiten Weltkrieg. Vor allem die amerikanischen Realisten wenden sich dem Abguß zu.
In den sechziger Jahren entwickelt George Segal seine Figurentechnik mit Gipsbandagen, die aber im Endstadium die Wickeltechnik und die Farbe des Gipses bestehen läßt. Edward
Kienholz verwendet in dieser Zeit ausgearbeitete Teil- oder Ganzabgüsse für seine großen kritischen Installationen. Hyperrealisten wie Duane Hanson und John de Andrea führen die Abgußtechnik mit Glasfiber und bemaltem Polyester in den siebziger Jahren schließlich zu
einer verblüffenden Perfektion, die weit über die Wirkung von Wachsfiguren hinausgeht, die aber auch dem Betrachter die Hilfestellung durch die künstlerische Interpretation entzieht.
Die Einbeziehung von Teilabgüssen, insbesonders von Händen, in Bildern von Jasper Johns in
der Zeit um 1970 kommt den Intentionen von Werner Arndt wohl am nächsten. Entsprechend findet man das Kastengerüst in der Plastik z.B. schon bei Giacometti oder in der Malerei in
schwer entschlüsselbarer Form bei Francis Bacon. So reiht sich das jüngste Werk von Arndt durchaus in die Tradition der neueren Kunst. Es handelt sich aber dennoch um keine Wiederholung vorgegebener Muster. Arndt hat aus Motiven, die bei berühmten zeitgenössischen Künstlern nachzuweisen sind, ein eigenständiges Kunstkonzept geschaffen, das in Teilen eher
der latenten Zeitproblematik als einem konkreten Vorbild entsprungen ist: Die Montage von Körperabformungen aus bemaltem Polyester, die als unvollständige Wiedergabe des Menschen
in imaginäre Käfige gesperrt sind, die "Cager". Die Bezeichnung entstand in Ableitung vom englischen "cage", das mit Käfig, Gefängnis und Kerker, aber auch mit den weniger belasteten Begriffen Kabine oder Gerüst übersetzt werden kann So ist die äußere Begrenzung des
Cagers nicht nur als Käfig, sondern unter Umständen auch als notwendiges hilfreiches Gerüst
zu begreifen.
In Kenntnis der aktuellen realistischen Bildhauerei entsteht 1972 die erste Abformung, das "Mädchen im Fledermausstuhl" . Wie beim "Michael" von 1973 steht hier noch die Idee der Ganzfigur im Hintergrund, wenn auch die Hohlheit des Objekts offengelegt wird. Bis 1975 entstehen Arbeiten, meist Reliefs, die Materialabgüsse und Körperteile kombinieren. Die
innere Leere, das Fragmentarische tritt mehr in den Vordergrund ("Mutter und Kind") und die Überlegungen zum Wechselspiel zwischen Innen und Außen führen zu Montagen mit
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Negativabgußteilen. Durch ein Abgießen des Abgusses wird die Struktur der Haut, die sich bei
der Gipsbandage innen negativ abbildet, in das Innere des hohlen Körperteils verlegt - so
entsteht ein Hohlrücken.
Das Jahr 1975, das insgesamt sehr produktiv war, sieht dann die Entwicklung des "Cagers".
Die Körperabgußteile werden in einem offenen Käfig montiert, der selbst ein Gußprodukt ist.
Die Technik ist insgesamt bei Herhaus nach Angaben von Werner Arndt ausführlich beschrieben. Interessanterweise spielt der Kopf und das oft zur leidverzerrten Maske deformierte menschliche Gesicht nur in den ersten beiden Jahren eine größere Rolle. In den letzten Jahren werden vorrangig Rücken, Beine und Hände verwendet und der Ausdruck in die Gebärde verlegt. Besonders die Hände spielen eine große Rolle und zeigen dem Betrachter meist die Relation
der Cager-Figur zu ihrem Käfig. Häufig deuten sie auch die Suche nach einer Stütze, nach Sicherheit an. Schließlich zeigt der "Gestürzte" jene verzweifelte Situation, den Halt verloren
zu haben, ohne den Zwängen entronnen zu sein.
So symbolsieren die "Cager" von Werner Arndt Grundsätzliches der menschlichen Existenz in unseren Tagen. Das Fragmentarische und Bruchstückhafte, die Zerrissenheit und Hohlheit, die bedrückende Enge und die Suche nach Halt, all das wird zu Sinnbildern unseres Lebens.
Die "Cager" sind Projektionen unserer psychischen Existenz.

III. Bildhauer - Maler - Grafiker
Während der Zeit der Materialbilder und der Entwicklung der figuralen Objekte zum "Cager"
war die Malerei fast vollständig zurück gedrängt worden. Bemalte Leinwandfragmente in den Materialbildern erinnern gerade noch an sie. Mit den figuralen Objekten zeichnete Werner Arndt wieder mehr und führte gelegentlich diese meist in Mischtechnik angelegten großformatigen Arbeiten soweit aus, daß eigentlich der Begriff "Zeichnung" nur noch bedingt gilt. Häufig wiederholte er die Thematik der gerade entstandenen Objekte oder kombinierte mehrere Arbeiten ( "Cager-Silo", "Zwei Cager"). Daneben bekommt das "Selbstbildnis" , das in der Darstellung den Cager-Motiven angenähert wird, eine große Wichtigkeit. wahrscheinlich durch den Selbstbildniscager von 1976 angeregt. Die Variationen des Selbstbildnisses nehmen auch das Motiv des "Namenlosen" auf, des verzweifelten Schreis der Einsamen.
Auf der Suche nach verstärkter Bildwirkung arbeitete Werner Arndt immer häufiger mit der Weißhöhung. Dies ist auch in den ersten Arbeiten zu erkennen, die 1977 wieder den Übergang
zu Bildern charakterisieren, die nicht mehr nur als Zeichnungen verstanden sein sollten. Zu
seiner stark graphisch empfundenen Malweise konnte er aber diese herkömmliche Art noch
nicht als befriedigend empfinden.
In diese Zeit des Experimentierens fällt auch die Entwicklung der sogenannten "Reißgraphik" .
Ein Blatt bereits bedruckter Graphik wird unter Ausnutzung der Papierspannungen trocken geprägt, bis an den experimentell ermittelten, zur Darstellung passenden Stellen das Papier reißt. Die Risse fallen innerhalb einer Auflage mit gleichem Papier nahezu identisch aus. Diese Mischung aus Graphik und Relief bezieht ihren besonderen Reiz aus der Kombination von
Cager-Motiven und dem darin liegenden Prinzip des durch Zerstörung Fragmentierten. Nur
1977 und 1978 entstehen solche Reißgraphiken. Wegen der umständlichen Herstellung des Prägestocks setzt Werner Arndt diese extreme Technik nicht fort.
Im Jahre 1978 aber entdeckte er eine Möglichkeit, die intendierten "Höhungen" der Bilder auf
neue Art zu erreichen. Auf Holztafeln aufgezogenes Papier wird so behandelt, daß eine
Grundzeichnung aufgetragen wird, die farbabstoßend ist. Darüber wird dann deckend und
lasierend gearbeitet. Das Material der Grundzeichnung kann nachträglich wieder entfernt werden,
und das reine Papierweiß tritt als brillante Zeichnung hervor. Darüber kann weiter gearbeitet
werden. Die Verwendung von Tusche in diesen Bildern setzt eine Technik voraus, die
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Ähnlichkeiten mit der Herstellung einer Radierung hat. Die Substanz, mit der die Grundzeichnung aufgetragen wurde. kann auch flächig verwendet werden. Ritzt man sie so an, daß der
Bildträger freigelegt wird, kann dort die aufgetragene Tusche haften, während sie ansonsten
abgestoßen wird. Nach Entfernung der farbabstoßenden Schicht von der Fläche bleibt die
"radierte Zeichnung" zurück. Es kann auch Farbe an Stelle der Tusche verwendet werden.
Bei der Arbeit mit dieser Technik entsteht ein Strich, wie er mit herkömmlichen Mitteln in der Zeichnung bzw. Malerei nicht erreicht werden kann. Auch die "Ausstreichungen", die mit den "Kopfvariationen" von 1979 einsetzen, können in dieser Technik verblüffend gesteuert werden.
Mit der Verfeinerung dieser Technik, die eine feste Montage des Papiers auf einem stabilen
Träger erfordert, hören die "Handzeichnungen" auf. Da aber vielfach ein fast blindes Arbeiten
erforderlich ist, entstehen von da an zahlreiche Skizzen, die den Bildern vorausgehen. Sie
entsprechen meist dem gewohnten Begriff der "Zeichnung".
Gerade wegen der Ähnlichkeit der neuen "Mal"-Technik zur Radierkunst experimentierte Arndt auch mit Druckplatten. Die ersten Arbeiten entstehen 1980. In Anlehnung an seine Bilder
nutzt er die Abplatztechnik der Zuckerreservage zur Erzeugung des kontinuierlichen Strichs.
Tiefe Ätzungen bei den Strichplatten erzeugen schließlich bei den Drucken eine reliefähnliche
Oberfläche. Die Farbdrucke entstehen meist als Eisen-Aquatinten, wobei das besondere
Ätzverhalten zu Oberflächenstrukturen ähnlich der klassischen Aquatinte auf Kupfer führt. Bei
geschickter Einfärbung der Tonplatten kann die starke Reliefierung so genutzt werden, daß sie
sowohl in Hochdruck als auch in Tiefdruck Farbe an das Papier abgeben. In der freien
Kombination von Kupfer, Zink und Eisen und den vielfältigen Farbvariationen von einem
Farbsatz lassen sich erstaunliche und abwechslungsreiche Wirkungen erzielen.
Die zahlreichen verschiedenen Techniken, die Werner Arndt oft selbst entwickelt hat, haben einen gemeinsamen Nenner, die Liebe Arndts zur handwerklichen Betätigung. Die vermeintlichen technischen Spielereien entspringen der Lust am Umgang mit Materialien. So verbinden sich
vor allem in den Zeichnungen und Bildern sichtbar spontane Handschrift und Freude an der
Arbeit. Nicht zuletzt dies gibt den Werken Arndts eine überzeugende Großzügigkeit, die aus
der Beherrschung der Mittel entspringt.

IV. Bildwelt - Bildraum
Anläßlich einer Ausstellung sagte Werner Arndt 1979 über seine Arbeit: "Das zentrale Thema meiner gegenwärtigen Arbeit ist der Mensch, seine inneren und äußeren Zwänge, jene
"innere Gefangenschaft" - wie sie Ernst Herhaus nannte. Wir alle bewegen uns in einem von
der Natur und unseren Lebensumständen vorgegebenen engen Käfig, der keine Wände hat
und den wir trotzdem nicht verlassen können - der Volksmund sagt: "Man kann nicht aus der
Haut". - Daß gerade der alternde Mensch diesem inneren Verlassensein und der damit
verbundenen Zerstörung seines Ichs besonders ausgesetzt ist, liegt in der Natur der Dinge."
Diese eindeutige Hinwendung zur Darstellung des Menschen macht verständlich, daß aller
Raum, der in den Bildern die Gestalten umgibt, sich letztlich wieder auf diese bezieht, keinen
Eigenwert hat. Die kahlen Zimmer korrespondieren als äußere Umgrenzung mit der psychischen
Einengung. In Arbeiten von 1977 kann auch die Stadt als der einengende Lebensraum
verstanden werden. Die Beziehung zwischen physischer und psychischer Einschränkung und
ihre gegenseitige Wechselwirkung wird im "Rollstuhl" besonders deutlich. In einzelnen Bildern
wird auch unentrinnbarer psychischer Zwang motivisch vorgetragen, wenn das Sucht-Thema
auftritt: "Die Trinkerin", "Die Party (Rauschgiftparty)" .
Die Zeichnungen und die ersten neuen Bilder orientieren sich noch deutlich an den "Cagern"
und die Käfige sind in den Darstellungen noch wenig deformiert. Die starken Perspektiven und
ungewöhnlichen Blickpunkte rufen Erinnerungen an frühe Ölbilder aus den fünfziger Jahren
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hervor. Mit der neuen "Absprengtechnik" ändert sich teilweise der Stil. Das Käfig-Grundmotiv
wird weitergeführt, verselbständigt sich aber weitgehend von den "Cagern". Der deformierte
Käfig verliert seine konkrete räumliche Nachvollziehbarkeit, entspricht dem schwer begreifbaren
Käfig der Seele, den wir fühlen aber nicht begreifen.
In den jüngsten Arbeiten tauchen sogenannte "Auswischungen" auf. Es handelt sich allerdings
nicht um nachträgliche Übermalung vorgegebener Bilder im Sinne von Arnulf Rainer, sondern
um kalkulierte Störung des Bildes. Zur Grundthematik der Zwänge kommt nun noch das Prinzip
der Zerstörung, der Metapher des direkten Eingriffs in die Persönlichkeit. Es erfüllt weitgehend
jene Funktion, die bei den Cagern vom Fragmentarischen, Unvollständigen, von der kaputten
Oberfläche getragen wurde. Die Störung wird in den Bildern vehementer vorgetragen, unterstützt
von der kräftigen Handschrift. Diese Ausstreichungen zerstören im eigentlichen Sinn die
Integrität der Person, zerlegen die Gestalten bis ihre verschobenen Körperteile nicht mehr
zusammenpassen wollen. Bilder wie "Die Lachende nach Vangi" "" werden zu Sinnbildern der
Schizophrenie. Diese Bilder der geistigen Gefangenschaft und psychischen Verletzung sind eine
bedrückende Spiegelung unseres zeitgenössischen Selbstverständnisses, erschreckend in ihrer
realen Größe und plakativen Aggressivität.
Selbst wenn Werner Arndt mit seinen erotischen Radierungen zur Kassette "Tal von Ota" gewissermaßen Lockerungsübungen macht, bleibt er seinem Themenkreis treu. Vordergründig
zeigt er lustvoll freie Darstellungen zu Motiven aus der Weltliteratur. Die Texte inspirieren ihn, ohne
daß er sie im engeren Sinn illustriert. Die Farbradierungen der Kassette verdeutlichen, wenn auch
dezent, die Bedeutung sexueller Lust, zeigen wenig von platonischer Liebe. Hier wird der nach
den lebenserhaltenen Motiven stärkste Trieb des gesunden Menschen angesprochen. Bedenkt
man aber, welche starken Kräfte dem Sexualtrieb entspringen, bedenkt man die Verirrungen
der Seele die durch ihn verursacht werden können, bedenkt man die zerstörerische und
kriminelle Gewalt, die fehlgeleiteter Sexualität gehorschen kann, bleibt die Grundthematik der
schicksalhaften Zwänge und Triebe, die den Menschen beherrschen, auch in diesem
Werkbereich erkennbar.
Werner Arndt, der realistische Bildhauer und Maler, zeigt letztlich etwas, das realistisch kaum begreifbar ist, unsere Seele. So schwer verständlich sie uns erscheint, so schwer sind auch
Arndts Bilder zu verstehen, obwohl sie uns vertraut erscheinen, obwohl wir uns in ihnen und
seinen "Cagern" wiederzuerkennen glauben. Oscar Wilde schrieb einmal: "Alles, was sie
(die Kunst) uns zeigt, ist unsere eigene Seele, die einzige Welt, von der wir überhaupt eine
wirkliche Kenntnis haben. Und die Seele selbst, die Seele von jedem einzelnen von uns, ist für
jeden von uns ein Geheimnis.

(Die Zitate von Dr. Ulrich Schmidt sind mit seiner freundlichen Genehmigung einem
unveröffentlichten Aufsatz aus dem Jahre 1968 entnommen.)


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