Ausstellung "Mensch und Ding im Bild 1954"
Neues Museum - Gemäldegalerie Wiesbaden mit Werner Arndt


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Ausstellungskatalog (Auszug)


Ausgestellte Bilder


Bäume am Hang


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Zwei Frauen am Strand

Menschenpaar


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Kritiken zur Ausstellung

Die Ausstellung in Wiesbaden fand in der Presse deutschlandweit ein großes Echo.
Folgende Zeitungen haben darüber berichtet (ohne Garantie der Vollständigkeit):
Ein Link führt Sie zum entsprechenden Artikel. Eine Aussage zu Werner Arndt ist in gelber Schrift vermerkt.


01 Wiesbadener Kurier
02 Wiesbadener Tagblatt
03 Frankfurter Allgemeine Zeitung
04 Kasseler Post
05 Badische neueste Nachrichten Karlsruhe
06 Düsseldorfer Nachrichten
07 Frankfurter Neue Presse
08 Rheinische Post Düsseldorf
09 Westdeutsche Zeitung Gladbach
10 Wiesbadener Kurier
11 Münchner Merkur
12 Stuttgarter Zeitung
13 Aachener Volkszeitung
14 Darmstädter Tagblatt

15 Mannheimer Morgen
16 Badische Zeitung
17 Die Neue Zeitung Berlin
18 Stuttgarter Nachrichten
19 Süddeutsche Zeitung
20 Rheinischer Merkur
21 Westdeutsche Rundschau Wuppertal
22 Hamburger Anzeiger
23 Hessische Nachrichten Kassel
24 Oberhessische Presse
25 Deutsche Zeitung und Wirtschafts-Zeitung Stuttgart
26 Westfalenpost Soest
27 Trierische Landeszeitung


01 Wiesbadener Kurier (29. März 1954)

Neue gegenständliche Kunst in der Städtischen Galerie

Deutsche Malerei von heute

"Eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst hat", so führte Dr. Alfred Mayer, der erste Vorsitzende des Nassauischen Kunstvereins, in einer grundsätzlich gehaltenen Rede zur Eröffnung der Ausstellung"Mensch und Ding im Bilde 1954"aus, "vor allem die Aufgabe, uns durch das Medium des Kunstwerks zu uns zu führen, und hierdurch die Wechselwirkung hervorzurufen, Selbstbesinnung und Einfühlung zu vermitteln. Wir lassen den Künstler zu uns sprechen und sprechen so selbst zu uns. Denn der Künstler ist unserer Zeit und unseres Blutes. Seine Anliegen sind die unseren. Wir teilen seine Unsicherheit, seine Verlassenheit, seine Fragwürdigkeit und seine Sehnsucht. Der Unterschied zwischen ihm und uns besteht darin, daß er gibt, wo wir nehmen, daß er sich verschwendet, wo wir bereit sein müssen, seine Gabe entgegenzunehmen. Nur durch diese Bereitschaft aber erwerben wir Einfühlung, durch Einfühlung berechtigte Stellungnahme, durch Stellungnahme das Recht auf kritische Förderung und damit den Zwang zur Verbundenheit. Ist es aber so weit gekommen es ist ein langer, schwerer Weg, aber ein Weg aus dem Verworrenen in die Klarheit , dann hat unsere Gesellschaft ihre Berechtigung neu erwiesen, und der gleiche Weg, der nie zu Ende gegangen werden kann, solange die Zeit nicht still steht, wiederholt sich in endloser Folge. Vor diesem trefflich formulierten Bekenntnis zur Kunst 1954, das zugleich Gruß an alle Künstler der Ausstellung war, hatte Oberbürgermeister Dr. Erich Mix als Hausherr der Städtischen Galerie das Wort ergriffen. Er wies auf ihre lebendige Bedeutung hin und fand Worte des Dankes für den Nassauischen Kunstverein, der gemeinsam mit der Stadt als Veranstalter auftritt und seit seiner Gründung stets auf fruchtbare Wechselwirkung zwischen Publikum und Kunst bedacht war und der in diesem Sinne weiter mithelfen möge, die Züge unserer Stadt zu prägen. Auch Kultusminister Arno H e n n i g sprach bei der Eröffnungsfeier. Seine Ausführungen über die neue Ausstellung und über Kunst im allgemeinen zeugten von Aufgeschlossenheit und Kunstenthusiasmus. Der Staat müsse an die Stelle der heute fehlenden Mäzene treten, doch ohne daraus Ansprüche abzuleiten, denn die Freiheit der Kunst sei unantastbar! Dr. Clemens W e i l e r ,der rührige Leiter der Städtischen Galerie, gab schließlich Aufschluß über Zustandekommen und Wesen der Ausstellung. Er dankte allen, die dabei mit Rat und Tat mitgeholfen hatten. Es ist fast schon zur Tradition geworden, daß das gepflegte Spiel des Baum Quartetts bei Ausstellungseröffnungen erklingt. Es erfreute auch diesmal mit Werken von Mozart und Beethoven das zahlreich erschienene, prominente Publikum, das sich im blumengeschmückten Vortragssaal des Museums eingefunden hatte. Unsere heutige Bildseite macht bereits mit verschiedenen Gemälden der Schau bekannt, über die im einzelnen noch berichtet wird.                  TPH


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02 Wiesbadener Tagblatt (29. März 1954)

"Mensch und Ding im Bild 1954"

Eröffnung der Frühjahrs-Ausstellung im Neuen Museum

Die von der Stadt Wiesbaden in Verbindung mit dem Nassauischen Kunstverein im Neuen Museum veranstaltete große Frühjahrs Ausstellung " M e n s c h u n d D i n g i m B i l d 1 9 5 4 " wurde am Sonntagmittag in Anwesenheit von Kultusminister Hennig und Oberbürgermeister Dr. Mix sowie zahlreicher geladener Gäste mit einer Feierstunde im Vortragssaal des Neuen Museums eröffnet. Oberbürgermeister Dr. Erich Mix gedachte nach einer kurzen Begrüßungsansprache der jetzt 130 Jahre bestehenden Wiesbadener Gemäldegalerie und des Nassauischen Kunstvereins (seit 1847) dessen von starken Kräften getragene Mitarbeit die geistigen Züge unserer Stadt auch für die Zukunft prägen könne, Kultusminister Arno Hennig bemerkte in seinen Ausführungen über den Zweck und die Bedeutung der Ausstellung, daß sie mit der Grenze zum Abstrakten abschließe und noch einmal zurückblicken lasse auf die Malerei unserer Tage. Er erinnerte dabei an die Pflichten gegenüber der Forschung und der Kunst. Tatkräftige Hilfe der Kunst und den Künstlern gegenüber ohne daraus einen Führungsanspruch abzuleiten, sei eine der vornehmsten Aufgaben des Staates. Dr. Alfred M a y e r, der 1. Vorsitzende des Nassauischen Kunstvereins führte aus, daß die Gegenstandskunst unserer Tage die geistigen Grundlagen der Zeit widerspiegele. Durch das Medium des Kunstwerks zu uns selber zu führen sei die Aufgabe des Nassauischen Kunstvereins. Dr. Clemens W e i l e r dankte allen, die am Zustandekommen der Ausstellung beteiligt waren. Den auf das Gegenständliche gerichteten geistigen Rhythmus zur Geltung zubringen sei dabei die Absicht gewesen.

Die Feierstunde war umrahmt von den festlichen Klängen Mozartscher und Beethovenscher Streichermusik, die das B a u m-Q u a r t e t t des Städtischen Sinfonieorchesters mit gewohnter Künstlerschaft darbot. - Ueber die Ausstellung selbst berichten wir in der nächsten "Tagblatt"-Ausgabe. ----------------------------------------------------------------------------------------- fg.

Abbildungen:
Max Unold: "Die Allee", Gabriele Münter: "Blumen auf schwarzem Grund" und Max Pechstein: "Fahrt über das Korallenriff".
Aus der Ausstellung "Mensch und Ding im Bild 1954", die vom 28, März bis 20. Juni im Neuen Museum stattfindet.
Foto: Scheffler


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03 Frankfurter Allgemeine Zeitung (vom 31.03.1954/Nr. 76, Seite 10)

"Mensch und Ding im Bild 1954"

Zur Ausstellung im Wiesbadener Landesmuseum

Als vor etwa fünfzig Jahren eine "antinaturalistische" Kunst (die "moderne Kunst" im üblichen Sprachgebrauch) sich durchsetzte, traten Kunsthistoriker auf, welche ihr durch historische Untersuchungen den Weg bereiten wollten. Es entstanden vorzügliche Arbeiten über die Vorbedingungen der Entstehung eines "naturfernen Kunstwollens", zum Beispiel beim Uebergang von der Spätantike zum Mittelalter. Die Grundlagen einer naturzugewandten Kunst jedoch (welche sich um 1900 ja sozusagen von selbst verstand) blieben im Dunkel. Die "Naturzuwendung" der griechischen Kunst und die entsprechende Wandlung in der hochmittelalterlichen Plastik und Malerei beruht auf Veränderungen im geistig-religiösen Leben der Menschen. Aus Dämonen wurden die Götter Griechenlands zu naturverklärenden Mächten in menschlicher Gestalt; im abendländisch-christlichen dreizehnten Jahrhundert stieg Gott in die Natur hinab. Hatte einst der Benediktinermönch Anselm von Canterbury das Lustwandeln im Frühling, die Freude an den Farben und am Duft der Blumen verdammt, da es den Menschen vom Jenseitsstreben ablenke, so pries Franziskus von Assisi die irdiche Welt mit Tieren und Pflanzen als göttliche Schöpfung. Giotto faßte den Menschen als "Gefäß des Göttlichen" auf.

Würde und Adel der früheren und mittleren naturzugewandten Periode der griechisch-römischen wie der christlich-abendländischen Kunst beruhen auf ihrem hier angedeuteten Ursprung aus gefestigten Zeiten des Glaubens. Doch für beide Kulturperioden kommt der Augenblick, in dem sich "der Realismus in seine eigenen Konsequenzen verliert", zu materialistischer Diesseitsverherrlichung wird. Es ist eine Streitfrage, ob man schon die holländische Stillebenmalerei des siebzehnten Jahrhunderts oder erst die Malerei der "Gründerzeit" von 1880 als materialistisch zu bezeichnen habe. Im gangen ergibt sich jedenfalls die Erkenntnis: solange die naturzugewandte Kunst Verbindung mit dem religiösen Leben hat, zeigt der Realismus eine erstaunliche Kraft der Erneuerung und findet aus Niederungen zu klassischen Höhepunkten(Raffael), expressiven Steigerungen (Tintoretto) und seelischer Vertiefung (Rembrandt).Die auf Courbet folgende Malerei des neunzehnten Jahrhunderts (einschließlich ihrer"euphorischen Spätstufe, dem Impressionismus") hatte keinen sehr langen Atem und wurde als platt und ungeistig nach wenigen Jahrzehnten von Richtungen abgelöst, die im phantastischen Höhenflug neue Bezirke erschlossen. Eine Strömung trat in den Vordergrund, die schon in den Tagen Schopenhauers die Welt als "materielles Geschwür, als Abfall Gottes von sich selbst" empfunden hatte, wie es Maler Lee in Kellers "Grünem Heinrich" formulierte.

Wenn heute - zunächst in Paris und Italien und nun auch bei uns ernsthafte Künstler und Kunstfreunde wieder dem naturzugewandten Schaffen ihr Interesse widmen, so denkt in diesen Kreisen sicher niemand an ein äußerliches Wiederanknüpfen an einzelne Meister des späteren neunzehnten Jahrhunderts. Diesem geistigen Kurzschluß ist man in Wiesbaden aus dem Wege gegangen. Wir Deutsche bleiben hier besonders hellhörig, hat doch das "Haus der Deutschen Kunst" uns gelehrt, wofür ein "Zweitaufguß" der Malerei des späten neunzehnten Jahrhunderts gut zu verwenden ist.
Die Malerei in Moskau, bei Tito und bei Perón hat mit der des "Hauses der Deutschen Kunst" eine frappante Familien Ähnlichkeit. Diese Zweckkunst ist auf dem Boden von Diktaturen erwachsen und zeigt in öder Wiederholung folgende drei Themenkreise: Verherrlichung der eigenen "Führung", Verächtlichmachung der "Gegner des Systems", idyllisch-optimistische Wiedergabe des Lebens im eigenen Lande.

Ein Blick nach Paris belehrt uns darüber, daß dort die jungen "Neo-Realisten" vom Schlage eines Buffet oder Minaux jede Beschönigung oder Täuschung ablehnen. Ihre Malerei ist keineswegs "eingängig", ihre Welt sicht bitter, ja tragisch. Eine Ironisierung der Naturformen, Wie sie der Surrealismus pflegt wird als spielerisch abgelehnt, aber auch abstraktes Schaffen gilt diesen jungen Neo-Neorealis nicht als "Standhalten", sondern als ein "Ausweichen" vor den Aufgaben des Lebens. Die leblosen Dinge, der Mensch, die Landschaft erhalten wieder eine stille Würde Wer in der Ausstellung im Wiesbadener Museum umherwandert, dem wird klar, daß die geistigen Kräfte, Welche jenen Pariser "Neo-Realismus" tragen, allmählich auch zu uns herüberzuwirken beginnen. Die charakteristische Lebensbejahung des frühen deutschen Expressionismus ist in Wiesbaden in einzelnen Fällen ebenfalls anzutreffen. Schließlich finden sich Maler, die die Formen der sichtbaren Wirklichkeit "surrealistisch" in Frage stellten, heute jedoch ihren Bildern nur noch einen phantastischen Charakter geben, der als Steigerung, nicht aber als Verneinung wirkt. Man sieht: das Gesamtbild ist alles andere als einheitlich.

Vom Jahrgang 1878 bis Jahrgang 1930 sind in Wiesbaden Künstler deutscher Zunge aus ganz Westeuropa vertreten; der Württemberger Rolf Nesch wohnt in Norwegen, der in Pöchlarn an der Donau geborene Kokoschka in London, der Altmärker M. Peiffer-Watenphul in Venedig. Wir versuchen eine Uebersicht über die rund fünfzig Künstler durch eine Gruppierung nach Geburtsschichten. Mit acht Namen ist die Generation der "großen Alten" vertreten, die heute über Siebzig sind. Das expressionistische Erbe lebt am stärksten bei Schmidt-Rottluff weiter ("Keimende Zwiebeln"), gedämpft bei Heckel und Pechstein. Karl Caspar bildet die traditionellen christlichen Bildtypen weiter ("Anbetung des Kindes"), Purrmann, Gabriele Münter und Maria Caspar-Filser verklären in ihren Stilleben gesehene Wirklichkeit zu ausgewogenen Kunstgebilden. Die zehn Künstler, welche gegenwärtig das sechzigste Lebensjahr vollendet haben, präsentieren sich weniger geschlossen. Kokoschkas "Selbstbildnis als Zauberkünstler" (Lithographie) und die "Pietà in den Trümmern" von Dix stehen in der expressionistischen Tradition. Bei Crodel und Nesch treten wir in den Bereich des phantastischen Traums, während Teuber und Unold sachlich berichten. Es folgen fünfzehn Maler von fünfzig bis 59 Jahren. W. Hoffmann gibt seinen Landschaften ein festes Gefüge und wirkt unter seinen Altersgenossen als die geschlossenste Persönlichkeit; Fritz Kronenberg durchsetzt, wie einige moderne Italiener, seine Darstellungen mit Elementen des Kubismus von 1910; W. Huth bietet mit seinem von Kafka-Stimmung erfüllten "Wartezimmer" die beste Darstellung aus dem zeitgenössischen Leben, die wir in Wiesbaden zu sehen bekommen. Die bisher deutlich gewordenen Stilrichtungen sind auch bei den dreizehn Künstlern zu beobachten, die das fünfzigste Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Der Münchener Niederreuther bildet in seinen starkfarbigen Landschaften den Brücke-Expressionismus weiter. W. Arndt bildet sich in der Nachfolge Beckmanns; die 1918 in Danzig .geborene Ursula Ludwig-Krebs bietet im Porträt ihres Lehrers Heckel eine Arbeit, für die der Begriff "neo-realistisch" (wie man ihn in Paris verwendet) zutreffen würde. .Auch ,,Primitive des 20. Jahrhunderts" treffen wir unter dem Nachwuchs an; noch immer hat Rousseau "le Douanier" anregende Kraft, wenn auch wohl geringere als vor etwa 25 Jahren. Der 1913 in Hamburg geborene Ungar G. Stefula und seine um vier Jahre jüngere Frau Dorothea, welche heute biedermeierlich am Chiemsee malen, waren bisher auf Ausstellungen des Rhein-Main-Gebiets noch nicht vertreten. Es ist das Verdienst der Wiesbadener Schau, alle Richtungen ,und Spielarten zu Wort kommen zu lassen, die "das Bild der Welt" bejahen. Die Bestandsaufnahme verrät, daß der Reichtum der künstlerischen Kräfte des naturzugewandten Lagers sich mit dem, was im abstrakten Bereich geschieht, messen kann. Noch 1925 glaubte Hartlaub, in der "Neuen Sachlichkeit" einen Zeitstil festgestellt zu haben, der alle anderen ablösen werde. Dergleichen ist in Wiesbaden nicht zu beobachten. Wir finden hier keine Sensationen, aber sind für Klärung und Bestätigung dankbar. -------------------------------------Niels von Holst



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04 Kasseler Post (vom 31. März 1954)

Mensch und Ding im Bild 1954

Eine interessante Ausstellung moderner deutschen Kunst in Wiesbaden


"Présence de la Nature", "IL Realismo", so nannten sich jüngst Ausstellungen in Paris, bzw. Venedig. Wer sich heute in Deutschland Aehnliches vornimmt, muß zwei Klippen meiden: das Abgleiten zum Ewig-Gestrigen und die Beschränkung auf die "großen alten Männer". In Wiesbaden ist der jugendlich-moderne Museumsleiter diesen Gefahren aus dem Wege gegangen: keines der Bilder hat Kompromiß-Charakter; von 46 Namen sind 13 die von unter 50 Jahren, 6 von solchen, die das 40. Jahr noch nicht vollendet haben.
Von christlichen Themen nennen wir an erster Stelle den von mythischer Stimmung umwehten "Saul" von Dix. Carl Caspar zeigt eine farbig und formal südliche Tradition vorsichtig weiterbildende "Anbetung des Kindes", Dix eine "Pietà in den Trümmern", ergreifendes Beispiel der Rückkehr des einst revolutionär gesinnten sächsischen Arbeitersohns zum christlichen Glauben.

Die in letzter Zeit oft totgesagte Bildgattung Porträt ist mit vorzüglichen Leistungen vertreten, darunter drei Malerbildnissen: "Erich Heckel" von U. Ludwig-Krebs, "Max Pechstein" von A. Hartmann, "Oskar Kokoschka" von Kokoschka. - Von Darstellungen aus dem heutigen Leben verdient das "Wartezimmer" des Berliners W. R. Huth mit seiner leise angedeuteten Kafka-Stimmung besonderes Lob. Ruhig berichtende Darstellungen von z. T. hohem künstlerischem Reiz danken wir in diesem Bereich (den das 19. jahrhundert "Genre" nannte) weiterhin H. Teuber und M. Casper-Filser. Es fällt auf, daß die um 1900 so beliebten Aktdarstellungen selten geworden sind (vertreten durch K. Klut und Schmidt-Rotluff). Das "Menschenpaar" des jungen, in der Nachfolge Beckmanns stehenden W. Arndt ist eine freie Schöpfung von leicht symbolischem Gehalt, der positiv wirkt. Ebenfalls als Bejahung dieser Welt erscheint Schmidt-Rotluffs expressiver "Vorfrühling": aus dem Dunkel senden Zwiebeln ihre aufstrahlenden Keime empor. Auch Blumenstilleben, von jeher ein Anzeichen menschlichen Einklangs mit der Natur, sind durch vortreffliche Arbeiten vertreten (H. Purrmann, W. Röhricht).
Ein reichliches Drittel aller ausgestellten Gemälde sind Landschaften. Zu den wichtigsten gehören das expressionistische Erbe weiterbildende Gemälde von Niederreuther, Arndt und U. Ludwig-Krebs. Schließlich fehlt nicht ein Kabinett mit "Primitiven des20. Jahrhunderts" in der Art des "Zöllners" Rousseau; doch wirken sie heute abseitiger und gesuchter als vor einem Menschenalter (z. B. G. Stefula). ----------------------------------------------------------- N. v. H.


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05 Badische neueste Nachrichten Karlsruhe

"Mensch und Ding im Bild 1954"

Eine große Ausstellung in Wiesbaden

Das Thema "Mensch und Ding im Bild" ist in einer Zeit der Abstraktion, des Abrückens von der Unmittelbarkeit und der blühenden Fülle des Daseins auch in der Kunst ungewöhnlich. Der Nassauische Kunstverein hat es in strenger Auswahl an einer großen Ausstellung formuliert, die im Wiesbadener Neuen Museum bis zum 20. Juni zu sehen ist. Sie zeigt, daß "gegenständlich" und "modern" durchaus keine Gegensätze zu sein brauchen. Die Maler dieser Ausstellung gehen noch, oder wieder, von der "natürlichen" Erscheinungsform des Menschen. und der Dinge aus, nutzen aber dabei die Erfahrungen der vereinfachenden Formensprache der Moderne. Sie wissen, daß, so lange die Welt überhaupt besteht, die Natur und auch die Dinge dauern werden, trotz des oft hektischen Veränderungs- und Zerstörungswillen des Menschen.

Viele der "Avantgardisten" von einst, wie Schmidt-Rottluff, Heckel und Pechstein, halten sich heute wieder an die Verläßlichkeit und Faßlichkeit der Realität. Das macht auch diese Ausstellung von Niveau wieder deutlich: die kaum einen der wichtigen Namen vermissen läßt. Mit dem Schlagwort von. der "Restauration" auch hier läßt sich diese Erscheinung nicht abtun. Es spricht daraus wohl eher die Scheu vor dem Sich-Verlieren im Ungewissen und Vagen. Die Frage der Verbindlichkeit für den aufnahmewilligen Betrachter ist ja heute zur Lebensfrage für die bildende Kunst schlechthin geworden. Doch können auch Zeichen, Chiffren verbindlich sein. Das beweisen in dieser Ausstellung neue Arbeiten von Kaus, Camaro und Lammeyer. Die Rückverbindung zu der uns allen gemeinsamen sichtbaren Welt ist bei ihnen allerdings gehalten. Die Ausstellung ist keineswegs engherzig in ihrer Auswahl. Sie stößt immer wieder weit in das Gebiet der Abstraktion vor. Sie bringt auch jüngere und junge Maler wie den kraftvoll seine Landschaften bauenden Thomas Niederreuther, den gleichfalls sicher komponierenden Werner Arndt, die vielseitige Heckel-Schülerin Ursula Ludwig-Krebs, die auch in ihrer Malerei von der Linie ausgehende Babs Englaender und den erst 24-jährigen, farbig so reizvollen Dietmar Lemcke. Daß die Ausstellung nicht Kampfstellung, gegen ;,die Abstrakten" beziehen will, geht schon aus der Absicht hervor, im nächsten Frühjahr am gleichen Ort die abstrakten Maler zusammenzufassen, als den anderen Pol heutiger Malerei. -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- H. D.


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06 Düsseldrfer Nachrichten (1.April 1954 / 75. Jahrgang - Nr. 77)

"Mensch und Ding im Bild 1954"

Ausstellung moderner deutscher Kunst im Museum Wiesbaden

"Présence de la Nature", "IL Realismo", so nannten sich jüngst Ausstellungen in Paris, bzw. Venedig. Wer sich heute in Deutschland Aehnliches vornimmt, muß zwei Klippen meiden: das Abgleiten zum Ewig-Gestrigen und die Beschränkung auf die "großen alten Männer". In Wiesbaden ist der jugendlich-moderne Museumsleiter diesen Gefahren aus dem Wege gegangen keines der Bilder hat Kompromiß- Charakter; von 46 Namen sind 13 die von unter 50 Jahren,
6 von solchen, die das 40. Jahr noch nicht vollendet haben.

- Von christlichen Themen nennen wir an erster Stelle den von mythischer Stimmung umwehten "Saul" von Dix. Carl Caspar zeigt eine farbig und formal südliche Tradition vorsichtig weiterbildende "Anbetung des Kindes", Dix eine "Pietà in den Trümmern", ergreifendes Beispiel der Rückkehr des einst revolutionär gesinnten Sächsischen Arbeitersohns zum christlichen Glauben.

Die in letzter Zeit oft totgesagte Bildgattung Porträt ist mit vorzüglichen Leistungen vertreten, darunter drei Malerbildnissen:"Erich Heckel" von U. Ludwig-Krebs, "Max Pechstein" von A. Hartmann, "Oskar Kokoschka" von Kokoschka. - Von Darstellungen aus dem heutigen Leben verdient das "Wartezimmer" des Berliners W. R. Huth mit seiner leise angedeuteten Kafka-Stimmung besonderes Lob. Ruhig berichtende Darstellungen von z. T. hohem künstlerischem Reiz danken wir in diesem Bereich (den das 19. jahrhundert "Genre" nannte) weiterhin H. Teuber und M. Casper-Filser. Es fällt auf, daß die um 1900 so beliebten Aktdarstellungen selten geworden sind (vertreten durch K. Klut und Schmidt-Rotluff). Das "Menschenpaar" des jungen, in der Nachfolge Beckmanns stehenden W. Arndtist eine freie Schöpfung von leicht symbolischem Gehalt, der positiv wirkt.
Ebenfalls als Bejahung dieser Welt erscheint Schmidt-Rotluffs expressiver "Vorfrühling": aus dem Dunkel senden Zwiebeln ihre aufstrahlenden Keime empor. Auch Blumenstilleben, von jeher ein Anzeichen menschlichen Einklangs mit der Natur, sind durch vortreffliche Arbeiten vertreten (H. Purrmann, W. Röhricht).
Ein reichliches Drittel aller ausgestellten Gemälde sind Landschaften. Zu den wichtigsten gehören das expressionistische Erbe weiterbildende Gemälde von Niederreuther, Arndt und U. Ludwig-Krebs.

Heckels "Strand" verrät eine besonnene- "ultima maniera", in der ein Jugendstil-Element auffällt (das auch bei E. Frank sichtbar wird). Strenger komponiert und sachlicher aufgefaßt wirken die Landschaften von W. Hoffmann und Huth. Der in Venedig ansässig gewordene Peiffer-Watenphul hat vom farbigen Raffinement eines Saetti gelernt; manche am Rhein wohnende Maler verraten eine offensichtlich durch Reisender jüngsten Zeit angeregte Auseinandersetzung mit französischer Kunst. Schließlich fehlt nicht ein Kabinett mit "Primitiven des 20. Jahrhunderts" in der Art des "Zöllners" Rousseau; doch wirken sie heute abseitiger und gesuchter als vor einem Menschenalter (z. B. G. Stefula).           H-t


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07 Frankfurter Neue Presse (vom 1. April 1954)
Kunst, Theater, Musik
Mensch und Ding

Ausstellung im Wiesbadener Museum

Mit seiner Ausstellung "Mensch und Ding im Bild 1954" greift der Nassauische Kunstverein in die Diskussion um die Frage "gegenständlich - abstrakt" ein, ähnlich, wie es vor zwei Jahren die Mannheimer Kunsthalle getan hat. Aber während die Ausstellungsfolge dort mit den Abstrakten begann, wird sie in Wiesbaden mit der gegenstandsnahen Malerei eingeleitet. Sicher will man damit nicht besondere Sympathien kundgeben: man fängt einfach, psychologisch richtig, an der Stelle des geringsten Widerstands an. Daß man mit aller nötigen Sorgfalt zu Werke ging, wird durch die Auswahl bewiesen, die alle wichtigen, der Natur verpflichteten Künstler von Hofer, Caspar, Heckel und Dix bis hin zu Werner Arndt und dem 28jährigen Darmstädter Bernd Krimmel berücksichtigt.
Vom "Neorealismus", der angeblich mehr und mehr Terrain gewinnenden neuen Form einer streng sachlichen Malerei, spürt man freilich nicht viel. "Gegenstandsnähe" bedeutet 1954 grundsätzlich etwas anderes als im 19. Jahrhundert, sie setzt die (noch immer lebensfähige und amüsante) naive Kunst der Laienmalerei von 1910. den Expressionismus und teilweise den Surrealismus voraus. "Gegenstands-nähe" ist danach eine sehr relative, sehr bedingte Naturnähe.

Erst die geplante "Abstrakten"-Ausstellung wird ver-deutlichen, ob nicht diese Malergruppe in ihrem Verhalten zur sichtbaren Umwelt, wobei das Natur-vorbild nur als Anlaß zu einer freien, der Phantasie Spielraum lassenden Bildschöpfung dient, für uns heute künstlerisch ergiebiger ist. Das Gespräch über die moderne Kunst wird durch die Ausstellungen im "Neuen Museum" angeregt werden und, vielleicht, wieder an Niveau gewinnen. Das zu ermöglichen, hat der "Nassauische Kunstverein" das Seine getan.---------------------------------------------- -ng-


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08 "RHEINISCHE POST DÜSSELDORF" (vom 1. 4. 1954:)

Gegenständliche Kunst in Wiesbaden.

"Mensch und Ding im Bild."

Hessen hat eine Scharte ausgewetzt. Auf die Vorjährige, so unrühmlich bekannt gewordene Ausstellung in Darmstadt, unter deren Programm einer Sammlung zeitgenössischer gegenständlicher Malerei und Plastik der Pferdefuß einer fatalen Kunstreaktion zum Vorschein gekommen war, hat nun Wiesbaden mit einer wünschenswert sauberen, von Gehässigkeiten freien Veranstaltung naturnaher Kunst geantwortet. Darmstadt hatte dem Besucher die Meinung aufzuzwingen versucht, es stünden die gegenständliche und die gegenstandslose Kunst einander feindlich gegenüber. In Wiesbaden wird das Spannungsverhältnis der beiden Kunstflügel nicht verschwiegen, jedoch zum Wohle förderlicher Auseinandersetzung fruchtbar gemacht. Im Neuen Museum sind keine gegenstandslosen Arbeiten zu sehen, wohl aber eine erkleckliche Anzahl solcher, die sich weit, verschiedentlich bis zum Grenzübertritt ins Abstrakte, vom natürlichen Erscheinungsbild gelöst haben. Ähnliche Grenzübertritte sind ja auch aus dem Lager der gegenstandslos schaffenden Künstler zu verzeichnen, und täuscht nicht alles, so wird die Zukunft der modernen Kunst in eben jenen Grenzgebieten liegen, da sich die beiden heute maßgeblichen Schaffensprinzipien berühren und überschneiden.

Eine Ausstellung wie diese Wiesbadener, der kein Programm einer Gruppe zugrunde liegt, hängt vom Spürsinn dessen ab, der sie besorgt. Clemens Weiler hat sich in nord- und süddeutschen, in rheinischen Ateliers umgesehen, nachdrücklich auch in Berlin, dabei den Anteil der Generationen berücksichtigt. So ist ein verläßlicher Querschnitt zustande gekommen. Die noch lebende "Brücke"- Malerei hat ihren Platz: Schmidt-Rottluff, Heckel, Pechstein, nur Nolde fehlt. (Und sie hat einen guten Platz: Pechstein erweist sich mit dem graugrün hellgestimmten "Nach dem Morgenbad" von 1950 auf alter Leistungshöhe. Ein Kuriosum übrigens dieses Bild, erscheint es doch auf Adolf Hartmanns Pechstein-Bildnis als Bildzitat ein zweites Mal). Gut vertreten sind die gleichaltrigen Hofer und Caspar, gut ausgewählt (!) ist Otto Dix. Doch soll hier keine Liste sämtlicher 46 Aussteller - sie hätte als junge Begabungen den aus Stralsund gebürtigen Werner Arndt in der Nachfolge Beckmanns, die aus Danzig stammende Heckel-Schülerin Ursula Ludwig-Krebs und den blutjungen, an Klee geschulten Ostpreußen Dietmar Lemcke zu nennen - verabfolgt werden. Was hat es mit dem Thema "Mensch und Ding im Bild", worunter auch die Landschaft zu verstehen ist, auf sich?

Kaum noch begegnet man dem Menschen und der Natur in jener zuständlichen Dichte und Geschlossenheit, die das Kunstmerkmal der alten Meister gewesen sind. Dies ist die erste Antwort, und niemand, der sich über den tiefgreifenden Wandel des Weltbildes und des Welterlebnisses seit Dürers Tagen Gedanken macht, kann sie verwunderlich ?nden. Vielleicht findet er sie bedauerlich - sowie die am Chiemsee lebenden Gyorgy und Dorothea Stefula es halten, Sonntagsmaler, die über die Wirklichkeit im Rösselsprung des Märchens hinwegsetzen? Weiß man, daß es - Picasso war, der die Sonntagsmalerei durch seine Entdeckung des Zöllners Rousseau legitimiert hat? Handgreiflich faßbar sind die Gegenstände dieser Malerei so wenig wie die Objekte der traumhaft geschauten Malereien Camaros ("Die Braut", "Badehütte am See"). Die Realität des Menschen und der Dinge wird nicht als körperliche Substanz erfahren, sondern auf dem Bildschirm geistigen Erlebens erfühlt oder begriffen. Die Subjektivität des Darstellenden verschmilzt mit dem darzustellenden Gegenstand zum je nachdem naturnäheren oder naturferneren Kunstwerk. Moderne Kunst und moderne Naturwissenschaft, die auf ihre Weise von der Anschauung fundamentaler Materie abgerückt sind, verschränken sich. In neuen Wattenmeerlandschaften von Max Kaus sieht sich die Dialektik "konkret-abstrakt" am Ende.

Verständlich, daß das Bild des Menschen größere Schwierigkeiten bereitet. Von 130 in Wiesbaden gezeigten Arbeiten sind zwar rund 40 Figurenbilder, aber noch nicht ein Dutzend läßt sich als Porträt ansprechen. Der Dialog des Malers und seines Gegenstandes kommt vor einer Landschaft oder einem Stilleben leichter in Gang. Es heißt, der Zerfall der Gesellschaft habe den Verfall der Porträtmalerei nach sich gezogen. Aus dem Blickwinkel der Soziologie ist das Problem zu vordergründig gesehen. Im Zusammenhang eines aus den Angeln überlieferter Vorstellungen gerissenen Weltbildes ist der Mensch, wiederum "der Rätsel größtes" wie einst in der Antike, aus dem "Zeitalter sozialer Färbungen" (Benn) getreten. Selbst der figural herrliche Rhythmus der "Jünglinge" Hofers läßt hier im Stich. Dennoch ist es nicht fruchtlos, die Ausstellung zu durchmustern: Heinz Battkes Zeichnung des Verlegers Woldemar Klein hat die graphische Präzision, den spröden Ausdruck, welche die ungeschmälert gesehene Persönlichkeit trotzdem "typisch" wiedergibt, so daß im Bildnis die Stimme der Zeit, der es entsprang, nicht nur des Künstlers, der es schuf, unüberhörbar zeugnishaft mitschwingt.---------------------------- Gerhard Schön

Derselbe Artikel: HAMBURGER ANZEIGER v. 1.4.54 mit einer Abbildung von Pechstein, Max "Nach dem Morgenbad"


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09 Westdeutsche Zeitung, Gladbach

"Mensch und Ding im Bild 1954"

Ausstellung moderner deutscher Kunst im Museum Wiesbaden

"Présence de la Nature", "IL Realismo", so nannten sich jüngst Ausstellungen in Paris, bzw. Venedig. Wer sich heute in Deutschland Aehnliches vornimmt, muß zwei Klippen meiden: das Abgleiten zum Ewig-Gestrigen und die Beschränkung auf die "großen alten Männer". In Wiesbaden ist der jugendlich-moderne Museumsleiter diesen Gefahren aus dem Wege gegangen keines der Bilder hat Kompromiß- Charakter; von 46 Namen sind 13 die von unter 50 Jahren,
6 von solchen, die das 40. Jahr noch nicht vollendet haben.

Von christlichen Themen nennen wir an erster Stelle den von mythischer Stimmung umwehten "Saul" von Dix. Carl Caspar zeigt eine farbig und formal südliche Tradition vorsichtig weiterbildende "Anbetung des Kindes", Dix eine "Pietà in den Trümmern", ergreifendes Beispiel der Rückkehr des einst revolutionär gesinnten Sächsischen Arbeitersohns zum christlichen Glauben.

Die in letzter Zeit oft totgesagte Bildgattung Porträt ist mit vorzüglichen Leistungen vertreten, darunter drei Malerbildnissen:"Erich Heckel" von U. Ludwig-Krebs, "Max Pechstein" von A. Hartmann, "Oskar Kokoschka" von Kokoschka. - Von Darstellungen aus dem heutigen Leben verdient das "Wartezimmer" des Berliners W. R. Huth mit seiner leise angedeuteten Kafka-Stimmung besonderes Lob. Ruhig berichtende Darstellungen von z. T. hohem künstlerischem Reiz danken wir in diesem Bereich (den das 19. jahrhundert "Genre" nannte) weiterhin H. Teuber und M. Casper-Filser. Es fällt auf, daß die um 1900 so beliebten Aktdarstellungen selten geworden sind (vertreten durch K. Klut und Schmidt-Rotluff). Das "Menschenpaar" des jungen, in der Nachfolge Beckmanns stehenden W. Arndt ist eine freie Schöpfung von leicht symbolischem Gehalt, der positiv wirkt.
Ebenfalls als Bejahung dieser Welt erscheint Schmidt-Rotluffs expressiver "Vorfrühling": aus dem Dunkel senden Zwiebeln ihre aufstrahlenden Keime empor. Auch Blumenstilleben, von jeher ein Anzeichen menschlichen Einklangs mit der Natur, sind durch vortreffliche Arbeiten vertreten (H. Purrmann, W. Röhricht).
Ein reichliches Drittel aller ausgestellten Gemälde sind Landschaften. Zu den wichtigsten gehören das expressionistische Erbe weiterbildende Gemälde von Niederreuther, Arndt und U. Ludwig-Krebs.

Heckels "Strand" verrät eine besonnene- "ultima maniera", in der ein Jugendstil-Element auffällt (das auch bei E. Frank sichtbar wird). Strenger komponiert und sachlicher aufgefaßt wirken die Landschaften von W. Hoffmann und Huth. Der in Venedig ansässig gewordene Peiffer-Watenphul hat vom farbigen Raffinement eines Saetti gelernt; manche am Rhein wohnende Maler verraten eine offensichtlich durch Reisender jüngsten Zeit angeregte Auseinandersetzung mit französischer Kunst. Schließlich fehlt nicht ein Kabinett mit "Primitiven des 20. Jahrhunderts" in der Art des "Zöllners" Rousseau; doch wirken sie heute abseitiger und gesuchter als vor einem Menschenalter (z. B. G. Stefula). --------------------------------------------------------------------------------- H-t


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10 Wiesbadener Kurier (1. April 1954)
Querschnitt durch die gegenständliche Kunst.
Das Leben von heute im Bild

Haß und Schönheit an sich, religiöse Inbrunst und Versenkung, Entdeckung der Freiheit im Menschen, jubelnde Einigkeit zwischen Himmlischem und Irdischem; graziöses Spiel auch - l'art pour l'art; ein Suchen nach neu akzentuierten Werten. Das alles spiegelt die Kunst im Verlauf der Jahrhunderte. Epochen der Menschheitsgeschichte sind ablesbar an Gemälde und Plastik. Einst und noch heute. Denn trotz mancher "kulturpessimistischer" Stimmen bedeutet die Kunst auch heute nicht Stagnation, sondern ist das, was sie von jeher war: Ein Spiegelbild der Zeit mit allen in ihr wohnenden Wünschen, Hoffnungen und Forderungen. Freilich, daß unsere Tage zwiespältig sind, wer im einzelnen kann dafür? Des Künstlers Herz und Hirn registriert wie ein Seismograph. Des Künstlers Talent oder Genie ist entscheidend dafür, ob sein Werk einst Makulatur wird oder ob man es für würdig befindet, noch in später Zukunft von unserem Dasein zu zeugen.

Das sind Gedanken, die sich angesichts der Ausstellung "Mensch und Ding im Bild 1954" aufdrängen. Wie schon der Titel sagt, ist die Schau thematisch und stilistisch auf das Gegenständliche begrenzt. Doch die Grenze ist großzügig gesetzt. Das ist schön, weil der Gesamteindruck dadurch reicher, interessanter, ja prickelnder wird. Bedeutende Maler wie Otto Dix, Erich Heckel, Karl Hofer, Max Kaus, Oskar Kokoschka, Gabriele Münter, Max Pechstein, Hans Purrmann, Karl Schmidt-Rottluff oder Max Unold stehen neben solchen, die Ruhm und Ruf zu er werben "möglicherweise" im Begriff sind. Nicht selten freilich stellt sich gerade bei den ehemaligen Avantgardisten eine leise Enttäuschung ein; die jetzt gezeigten Werke machen es manchmal schwer, sie mit dem großen Ruf der Künstler in Einklang zu bringen. Dennoch gehören sie unabdingbar zu dieser Ausstellung.

Wie also sieht der Mensch, wie sieht das Ding - darunter ist auch die Natur, sind Blumen, sind Städte und ist all jenes, was man gemeinhin mit Stilleben bezeichnet, zu verstehen - von 1954, inmitten unserer Zeit aus? Individuell völlig verschieden - so sagt der erste ?üchtige Blick. Beim näheren Eingehen indes ergeben sich - weitläufig und natürlich mit Ausnahmen zwei Richtungen. Von hauptsächlich optimistischen Impulsen, heiter, verträumt vielleicht und hoffnungsfroh ist die eine, von fühlbarer Unbefriedigtheit, unkontrollierbarem Aufbegehren, einem je nach Temperament passiven oder aggressiven "Sichauflehnen" die zweite getragen. Mit dieser wesentlich vom Gefühlsgehalt her gewonnenen Teilung ist natürlich kein Wertmaßstab verknüpft. Es ist überhaupt bei der Malerei von heute gefährlich und nicht ratsam, auf mögliche "Ismen" und Anklänge einzugehen. Auch die Ausstellung "Mensch und Ding im Bild von 1954" würde für den, der unter solchen Gesichtspunkten an sie herangeht, vieles an Reiz und Lebendigkeit verlieren. Betrachtet man sie aber unbeschwert von solchen "einordnenden" Gedanken, dann macht manches viel Freude, und man weiß der Städtischen Galerie, die zusammen mit dem Nassauischen Kunstverein diesen Querschnitt durch die deutsche gegenständliche Malerei ermöglicht hat, dafür Dank und Anerkennung.

Da entdeckt man die starke Kraft des Bayern Thomas Niederreuther. Seiner Art ein wenig verwandt ist der von früheren Ausstellungen bekannte Werner Arndt. Da kann man sich am Leuchten der Blumen des kürzlich verstorbenen Wolf R ö h r i c h t erfrischen; seiner Havellandschaft entströmt in Farbe und Linie Atmosphäre und kraftvolle Eleganz. Die heiteren bildnerischen Einfälle von Rolf N e s c h machen schmunzeln; nachdenklich stimmt, die beladene Schwere in den Bildern von Ursula Ludwig-Krebs. Über dem farblich trefflich komponierten Stierkämpfer von Fritz K r on e n b e r g kann man den aufdringlichen und ob der technischen Gekonntheit um so mehr schockierenden "Sitzenden Akt"` von Karl Kluth vergessen. Nur mit zwei Lithographien ist K o k o s c h k a vertreten. Dietmar L e m c k e - er fiel in der letzten Graphik-Schau auf - präsentiert zwei lebendige Süden-Gouachen. Werner Laves verdient Erwähnung ebenso wie der malerisch sinnierende Robert H u t h. Adolf H a r t m a n n wandelt gar zu getreu in Max Pechsteins Spuren. Ferdinand Lammeyer steht Wasserfarbe oder Pastell im kleinen Format viel besser an als die großflächigen Ölgemälde. Sinn für Komik muß man mitbringen, wenn man sich den Bildern von Gyorgy S t e f u l a nähern will. Er ist sozusagen ein "Unikum" im Rahmen dieser Schau, verspielt, parodistisch, vielleicht auch eine Zumutung... Immerhin gehört auch dieser "Tupfen" in das von der Schau angestrebte "Abbild" der gegenständlichen Darstellungsweisen von heute. -------------- TPH


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11 Münchner Merkur (2. April 1954)
Die große bayerische Tageszeitung
mit 13 Heimatzeitungen

Mensch und Ding im Bild
Eine Wiesbadener Ausstellung mit neuer Fragestellung

Nochmals das Gartenlauben-Idyll des "Hauses der Deutschen Kunst" Nein! Oder etwa Zweckkunst, wie sie der östliche "Progressive Realismus" bietet? Abermals nein! Worum es in Wiesbaden geht ist die Zusammenfassung lebendiger und freier künstlerischer Kräfte, die "das Bild der Welt" nach wie vor bejahen. Die "großen Alten", Hofer und Schmidt-Rotluff, Heckel und Dix, Kokoschka und Caspar, haben Wichtiges beigesteuert. In der Generation der 50-60jährigen finden wir Künstler, die sich nicht ein so bestimmtes Pro?l geben konnten, aber Beachtliches leisten. Erfreulich der Anteil der unter 50jährigen, nämlich 13 von insgesamt 46 Namen. Davon sind jünger als 40 folgende sechs: Werner Arndt (in Beckmanns Nachfolge vielversprechend), Ursula Ludwig-Krebs (eine selbständig sich entwickelnde Heckel-Schülerin), Bernd Krimmel (Pariser Anregungen verarbeitend), Dietmar Lemcke und Babs Engländer (beide mit ?ächigen, leicht archaisierenden Landschaften) und Dorothea Stefula (auf den Wegen des "Zöllners" Rousseau, etwas gesucht biedermeierlich).

Die besten Bilder? Altes Testament: "Saul und David" von Dix. Neues Testament: "Anbetung des Kindes" von Carl Caspar. Sittenbild: "Im Wartezimmer" von W. R. Huth. Stilleben. "Sprießende Zwiebeln" von Schmidt-Rotluff. Bildnis, gemalt: "Dame 1952" von A. Hartmann; Bildnis, gezeichnet: "Kokoschka als Zauberkünstler" von Kokoschka (Wiesbaden, Städtische Gemäldegalerie, bis 20. Juni). --------E. G


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12 Stuttgarter Zeitung (Freitag, 2. April 1954)
Zu der großen Ausstellung der Nicht-Abstrakten in Wiesbaden
Noch immer werden Menschen und Dinge gemalt

Das Ausstellungsthema "Mensch und Ding im Bild" ist in einer Zeit der Abstraktion, des Abrückens von der Unmittelbarkeit und der blühenden Fülle des Daseins auch in der Kunst ungewöhnlich. Der Nassauische Kunstverein hat es aufgenommen und zeigt das Ergebnis einer sorgfältigen Auslese von Dr. Clemens Weiler unter diesem Titel im Wiesbadener Neuen Museum, also in der gefährlichen Nachbarschaft der "Meisterwerke der italienischen Kunst" aus den ehemaligen Berliner Museen und Schlössern.

Der Glanz der Welt hat zwar im Spiegel der Kunst nachgelassen, doch leuchtet der Widerschein ihrer Schönheit auch heute noch in ihm. Zaghaft allerdings in einer Zeit, der alles fragwürdig geworden ist, auch die Existenz der Dinge und erst recht die Unversehrtheit der Natur, in der wir leben. Diese Ausstellung, die von der "natürlichen" Erscheinungsform der Dinge noch, oder wieder, ausgeht, weiß jedoch davon, daß, so lange die Welt besteht, auch die Dinge und die Natur Gegenstand der Kunst bleiben werden, trotzdem oft hektischen Veränderungs- und Zerstörungswillen des Menschen. Es sind der Vergänglichkeit der Zeit abgerungene Werke, gebannt in das Gefäß der Form. So hat Wilhelm Pinder ja auch einmal das Wesen des Kunstwerkes überhaupt definiert.

Die Welt blüht, dehnt sich und schwillt in der "Süditalienischen Landschaft" und den Blumenstillleben des heute vierundsiebzigjährigen Hans Purrmann. Zu der unerbittlichen Leuchtkraft der Farben gesellt sich die Plastizität der Form. Hier ist Fülle und Kraft im Ja zum Dasein. Auch bei Karl Schmidt-Rottluff, dem Expressionisten von einst, ist in den sinnenhaft leuchtenden, bisweilen noch heftigen Farben, dem kräftigen, von schweren Konturen eingebordeten Farbauftrag ein mächtiges Weltgefühl am Werk. Was aber einst um des Ausdruckeswillen Aufruhr war, ist nun gebändigt in ein festes Kompositionsgerüst und nähert sich der Naturwirklichkeit. Ihr ist auch Max Pechstein, der gleichfalls von der Malergruppe der "Brücke" herkam, wieder recht nahegerückt. Doch hat bei ihm die Fähigkeit zum Umsetzen nachgelassen. Denn Kunst ist ja immer Formung, Verdichtung, erst recht, wenn sie vom optisch getreuen Erscheinungsbild ausgeht. Blasser sind auch die Werke von Erich Heckel geworden. Bei ihm kommt zu dem lyrisch in den weichen Buchten einer Landschaft schwingenden Naturgefühl auch eine literarisch romantische Thematik.

Religiöse Kunst mit den Formmitteln von heute gibt Karl Caspar. Die "Weihnacht" wird in einem zugleich vereinfachenden und steigernden Realismus ohne Scheu vor den unzähligen Erinnerungen an Krippe und Stall fixiert. Die schlichte Gefühlsinnigkeit trifft den, der dafür überhaupt empfänglich ist, auch heute. Die Fragwürdigkeit des Begriffes "modern" wird daran wieder einmal evident. Religiöse Kunst von heute ist aber auch die "Pietà" von Otto Dix, die mit der Gruppe der den Leichnam Christi vom Kreuz Abnehmenden vor dem Ruinenhintergrund immer stärker wirkt, je öfter man sie sieht.

Die Rückwendung der Avantgardisten von einst zur Realität ist aufschlußreich. Mit dem Schlagwort "Restauration" läßt sich das nicht abtun. Diese Künstler weichen eher vor dem Sichverlieren im Ungewissen und Vagen zurück. Die Frage der Verbindlichkeit für den aufnahmewilligen Betrachter ist ja heute zur Lebensfrage für die bildende Kunst schlechthin geworden. Die Chiffren, die Zeichen müssen auch für den Beschauer etwas bedeuten, nicht nur für ihren Schöpfer. In den Bildern dieser Ausstellung ist die Verbindlichkeit bei den meisten gewahrt, auch wenn sie so weit zur Abstraktion vorstoßen wie etwa Alexander Camaro oder Ferdinand Lammeyer in ihren neuen Arbeiten oder auch Willem Grimm in seinen satt und dicht gemalten Landschaften. Zeichen, die treffen, sind auch und erst recht die Bilder des sechsundsiebzigjährigen Carl Hofer. In seinen "Jünglingen" ist etwas von der Formelhaftigkeit heutiger Existenz eingefangen. Ein solches Bild erhellt blitzhaft die Situation der Zeit.

Erfreulich ist, daß in dieser strengen Auswahl die nur auf wenige wichtige Namen wie. den Maler Kokoschka (als Graphiker ist er vertreten), Nolde und Xaver Fuhr verzichten mußte. Auch eine Reihe von jüngeren und jungen Künstlern erscheinen, wie der kraftvoll komponierende Werner Arndt, der noch etwas bunte und unruhige Bernd Krimmel, die sicher zupackende Heckel-Schülerin Ursula Ludwig-Krebs und der erst vierundzwanzigjährige, farbig apart malende Dietmar Lemcke.
Daß die Wiesbadener Ausstellung keine Kampfstellung beziehen will, geht schon daraus hervor, daß man im nächsten Frühjahr am gleichen Ort die Abstrakten zusammenfassen will. Es geht alleine um die künstlerische Qualität, und diese ist in dieser Ausstellung auf eine bemerkenswerte Weise erreicht.---------------------------------------------------------------------------------------------------Hermann Dannecker


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13 Aachener Volkszeitung (3. April 1954)
Mensch und Ding im Bild 1954
Interessante Ausstellung moderner deutschen Kunst im Museum Wiesbaden

"Présence de la Nature", "IL Realismo", so nannten sich jüngst Ausstellungen in Paris, bzw. Venedig. Wer sich heute in Deutschland Aehnliches vornimmt, muß zwei Klippen meiden: das Abgleiten zum Ewig-Gestrigen und die Beschränkung auf die "großen alten Männer". In Wiesbaden ist der jugendlich-moderne Museumsleiter diesen Gefahren aus dem Wege gegangen keines der Bilder hat Kompromiß- Charakter; von 46 Namen sind 13 die von unter 50 Jahren,
6 von solchen, die das 40. Jahr noch nicht vollendet haben.

Von christlichen Themen nennen wir an erster Stelle den von mythischer Stimmung umwehten "Saul" von Dix. Carl Caspar zeigt eine farbig und formal südliche Tradition vorsichtig weiterbildende "Anbetung des Kindes", Dix eine "Pietà in den Trümmern", ergreifendes Beispiel der Rückkehr des einst revolutionär gesinnten Sächsischen Arbeitersohns zum christlichen Glauben.

Die in letzter Zeit oft totgesagte Bildgattung Porträt ist mit vorzüglichen Leistungen vertreten, darunter drei Malerbildnissen:"Erich Heckel" von U. Ludwig-Krebs, "Max Pechstein" von A. Hartmann, "Oskar Kokoschka" von Kokoschka. Von Darstellungen aus dem heutigen Leben verdient das "Wartezimmer" des Berliners W. R. Huth mit seiner leise angedeuteten Kafka-Stimmung besonderes Lob. Ruhig berichtende Darstellungen von z. T. hohem künstlerischem Reiz danken wir in diesem Bereich (den das 19. jahrhundert "Genre" nannte) weiterhin H. Teuber und M. Casper-Filser. Es fällt auf, daß die um 1900 so beliebten Aktdarstellungen selten geworden sind (vertreten durch K. Klut und Schmidt-Rotluff). Das "Menschenpaar" des jungen, in der Nachfolge Beckmanns stehenden W. Arndt ist eine freie Schöpfung von leicht symbolischem Gehalt, der positiv wirkt. Ebenfalls als Bejahung dieser Welt erscheint Schmidt-Rotluffs expressiver "Vorfrühling": aus dem Dunkel senden Zwiebeln ihre aufstrahlenden Keime empor. Auch Blumenstilleben, von jeher ein Anzeichen menschlichen Einklangs mit der Natur, sind durch vortreffliche Arbeiten vertreten (H. Purrmann, G. Münter, W. Röhricht). Ein reichliches Drittel aller ausgestellten Gemälde sind Landschaften.

Zu den wichtigsten gehören das expressionistische Erbe weiterbildende Gemälde von Niederreuther, Arndt und U. Ludwig-Krebs. Heckels "Strand" verrät eine besonnene "ultima maniera", in der ein Jugendstil-Element auffällt (das auch bei E. Frank sichtbar wird). Strenger komponiert und sachlicher aufgefaßt wirken die Landschaften von W. Hoffmann und Huth. Der in Venedig ansässig gewordene Peiffer-Watenphul hat vom farbigen Raffinement eines Saetti gelernt; manche am Rhein wohnende Maler verraten eine offensichtlich durch Reisen der jüngsten Zeit angeregte Auseinandersetzung mit französischer Kunst. Schließlich fehlt nicht ein Kabinett mit "Primitiven des 20. Jahrhunderts" in der Art des "Zöllners" Rousseau; doch wirken sie heute abseitiger und gesuchter als vor einem Menschenalter (z. B. G. Stefula). ------------------------------------------------------------------------------------------------- N.v.H.


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14 Darmstädter Tagblatt (3. April 1954)

"Mensch und Ding im Bild 1954"
Eine Ausstellung moderner deutschen Kunst in Wiesbaden

"Présence de la Nature", "IL Realismo", so nannten sich jüngst Ausstellungen in Paris, bzw. Venedig. Wer sich heute in Deutschland Aehnliches vornimmt, muß zwei Klippen meiden: das Abgleiten zum Ewig-Gestrigen und die Beschränkung auf die "großen alten Männer". In Wiesbaden ist der jugendlich-moderne Museumsleiter diesen Gefahren aus dem Wege gegangen keines der Bilder hat Kompromiß- Charakter; von 46 Namen sind 13 die von unter 50 Jahren, von solchen, die das 40. Jahr noch nicht vollendet haben.

Von christlichen Themen nennen wir an erster Stelle den von mythischer Stimmung umwehten "Saul" von Dix. Carl Caspar zeigt eine farbig und formal südliche Tradition vorsichtig weiterbildende "Anbetung des Kindes", Dix eine "Pietà in den Trümmern", ergreifendes Beispiel der Rückkehr des einst revolutionär gesinnten Sächsischen Arbeitersohns zum christlichen Glauben.

Die in letzter Zeit oft totgesagte Bildgattung Porträt ist mit vorzüglichen Leistungen vertreten, darunter drei Malerbildnissen:"Erich Heckel" von U. Ludwig-Krebs, "Max Pechstein" von A. Hartmann, "Oskar Kokoschka" von Kokoschka.
Von Darstellungen aus dem heutigen Leben verdient das "Wartezimmer" des Berliners W. R. Huth mit seiner leise angedeuteten Kafka-Stimmung besonderes Lob. Ruhig berichtende Darstellungen von z. T. hohem künstlerischem Reiz danken wir in diesem Bereich (den das 19. jahrhundert "Genre" nannte) weiterhin H. Teuber und M. Casper-Filser.

Es fällt auf, daß die um 1900 so beliebten Aktdarstellungen selten geworden sind (vertreten durch K. Klut und Schmidt-Rotluff). Das "Menschenpaar" des jungen, in der Nachfolge Beckmanns stehenden W. Arndtist eine freie Schöpfung von leicht symbolischem Gehalt, der positiv wirkt. Ebenfalls als Bejahung dieser Welt erscheint Schmidt-Rotluffs expressiver "Vorfrühling": aus dem Dunkel senden Zwiebeln ihre aufstrahlenden Keime empor.

Auch Blumenstilleben, von jeher ein Anzeichen menschlichen Einklangs mit der Natur, sind durch vortreffliche Arbeiten vertreten (H. Purrmann, W. Röhricht).

Ein reichliches Drittel aller ausgestellten Gemälde sind Landschaften. Zu den wichtigsten gehören das expressionistische Erbe weiterbildende Gemälde von Niederreuther, Arndt und U. Ludwig-Krebs, Heckels "Strand" verrät eine besonnene "ultima maniera", in der ein Jugendstil-Element auffällt (das auch bei E. Frank sichtbar wird).

Strenger komponiert und sachlicher aufgefaßt wirken die Landschaften von W. Hoffmann und Huth. Der in Venedig ansässig gewordene Peiffer-Watenphul hat vom farbigen Raffinement eines Saetti gelernt; manche am Rhein wohnende Maler verraten eine offensichtlich durch Reisender jüngsten Zeit angeregte Auseinandersetzung mit französischer Kunst.

Schließlich fehlt nicht ein Kabinett mit "Primitiven des 20. Jahrhunderts" in der Art des "Zöllners" Rousseau; doch wirken sie heute abseitiger und gesuchter als vor einem Menschenalter (z. B. G. Stefula).----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------l.s.

Abbildung:
B. Engländer: "Südfranzösische Stadt". Aus der Ausstellung "Mensch und Ding im Bild", die zur Zeit im Wiesbadener Museum gezeigt wird.


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15 Mannheimer Morgen (6.April 1954, Seite 12)
"Mensch und Ding im Bild 1954"
Zu einer großen Ausstellung in Wiesbaden

Das Thema "Mensch und Ding im Bild" ist in einer Zeit der Abstraktion, des Abrückens von der Unmittelbarkeit und der blühenden Fülle des Daseins auch in der Kunst ungewöhnlich. Der Nassauische Kunstverein hat es aufgenommen und zeigt das Ergebnis einer sorgfältigen Auslese von Dr. Clemens Weiler unter diesem Titel in einer gemeinsam mit der Landeshauptstadt Wiesbaden veranstalteten Ausstellung bis zum 20. Juni im dortigen Neuen Museum also in der ,gefährlichen Nachbarschaft der "Meisterwerke der italienischen Kunst" aus den ehemaligen Berliner Museen und Schlössern.

Der Glanz der Welt hat zwar im Spiegel der Kunst nachgelassen, doch leuchtet der Widerschein ihrer Schönheit noch heute in ihm. Zaghaft allerdings in einer Zeit, der alles fragwürdig geworden ist, auch die Existenz der Dinge und erst recht die Unversehrtheit der Natur, der Landschaft, in der wir leben. Diese Ausstellung, die von der"natürlichen" Erscheinungsform der Dinge noch, oder wieder, ausgeht, weiß jedoch davon, daß, so lange die Welt überhaupt besteht, auch die Dinge und die Natur dauern werden, trotz des oft hektischen Veränderungs- und Zerstörungswillens des Menschen.

Die Welt blüht, dehnt sich und schwillt in der "Süditalienischen Landschaft" und den Blumenstilleben des heute vierundsiebzigjährigen Hans Purrmann. Zu der geradezu unerbittlichen Leuchtkraft der Farben gesellt sich hier die Plastizität der Form. Hier ist Fülle und Kraft im Ja zum Dasein. Auch bei Karl Schmitt-Rottluff, dem Expressionisten von einst, ist in den sinnenden leuchtenden, bisweilen noch heftigen Farben, dem kräftigen, von schweren Konturen eingeordneten Farbauftrag ein mächtiges Weltgefühl am Werk. Was aber einst um des Ausdruckeswillen Aufruhr und Aufbruch war, gesteigert in den Formen, ist nun gebändigt in ein festes, klar verspanntes Kompositionsgerüst, vor allem aber wieder der Naturwirklichkeit nahe. Der ist auch Max Pechstein, der gleichfalls von der "Brücke" herkommt, wieder recht nahe gerückt. Doch hat bei ihm die Fähigkeit; zum Umsetzen nachgelassen. Denn Kunst ist ja immer Formung, Verdichtung auch und erst recht, wenn sie vom optisch getreuen Erscheinungsbild ausgeht, Blasser sind auch die Werke von Erich Heckel geworden.

Religiöse Kunst mit den Formmitteln von heute gibt Carl Caspar. Die "Weihnacht" wird hier in einem zugleich vereinfachenden und steigernden Realismus ohne Scheu vor der Reminiszenz an dem alten Motiv der Heiligen Familie mit den Tieren im Stall fixiert. Die schlichte Gefühlsinnigkeit trifft den, der dafür überhaupt empfänglich ist, auch heute. Die Fragwürdigkeit des Begriffes "modern" wird daran wieder einmal evident. Religiöse Kunst von heute ist aber wohl doch auch die "Pietà" von Otto Dix, die mit der Gruppe der den Leichnam Christi vom Kreuz Abnehmenden vor dem Ruinenhintergrund immer stärker wirkt, je öfter man sie sieht.

Die Rückwendung der Revolutionäre, der Avantgardisten von einst zur Verläßlichkeit und Faßlichkeit der Realität ist aufschlußreich. Das Schlagwort von der "Restauration" auch hier ist dafür allzu billig. Es spricht daraus wohl eher die Scheu vor dem Sichverlieren nicht nur im Ungewissen, sondern auch und vor allem im Vagen. Die Frage der Verbindlichkeit für den aufnahmewilligen Betrachter ist ja heute zur Lebensfrage für die bildende Kunst schlechthin geworden. Die Chiffren, die Zeichen müssen auch für den Beschauer etwas bedeuten, nicht nur für ihren Schöpfer. In dieser Ausstellung ist die Verbindlichkeit bei den meisten gewahrt, auch wenn so weit zur Abstraktion vorgestoßen wird, wie das etwa Alexander Camaro oder Ferdinand Lammeyer in ihren neuen Arbeiten oder auch Willem Grimm in seinen satt und dicht gemalten Landschaftsbildern tun. Zeichen, die treffen, sind auch und erst recht die Bilder des sechsundsiebzigjährigen Carl Hofer.

Besonders erfreulich ist, daß in dieser strengen Auswahl, die nur auf wenige wichtige Namen wie den Maler Kokoschka (als Graphiker ist er vertreten), Nolde und Xaver Fuhr verzichten mußte, auch eine Reihe von jüngeren und jungen Künstlern erscheinen; wie der kraftvoll komponierende Werner Arndt, der noch etwas bunte und unruhige Bernd Krimmel, die sicher zupackende Heckel-Schülerin Ursula Ludwig-Krebs aus Mannheim, die beiden ironisch verspielten Stefulas und der erst vierundzwanzigjährige, farbig aparte Dietmar Lemcke.

Daß die Wiesbadener Ausstellung keine Kampstellung gegen die Abstrakten beziehen will, geht schon aus der Absicht hervor, im nächsten Frühjahr am gleichen Ort die abstrakten Maler zusammen zu fassen.------------------------------------------------------------------------------ Hermann Dannecker


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16 Badische Zeitung Freiburg/Br. (7. April 1954)
"Mensch und Ding im Bild"
Eine Ausstellung deutscher Kunst in Wiesbaden

Im Wiesbadener Neuen Museum stellen gegenwärtig - bis zum 20. Juni - an die fünfzig Maler der gegenständlichen Richtung aus. Sie sind dazu eingeladen worden, von der Stadt und vom Nassauischen Kunstverein. Es handelt sich also um keine Fronde bestimmter Künstlerkreise gegen die gegenstandslose Malerei. Eine solche Fronde, jedenfalls einen dahingehenden Versuch, hat es im Vorjahr in Darmstadt gegeben, und vielleicht erinnert man sich, wie skandalös sich die Clique der Kunstreaktionäre gebärdete.

Selbstverständlich besteht zwischen den Richtungen gegenständlicher und ungegenständlicher Kunst ein Spannungsverhältnis. Es macht aber einen großen Unterschied aus, ob sich die Lager beschimpfen oder zur geistigen Auseinandersetzung entschließen. Auch für den gegenständlichen Maler, sofern nur die Gegenständlichkeit der Kunstübung auf der Gegenwärtigkeit des Emp?ndens und Denkens fußt, stellt der Ausstellungstitel "Mensch und Ding im Bild" weniger ein Kunstprogramm als ein Kunstproblem dar. Der Mensch von 1954 ist nicht mehr der von 1854. Er sieht nicht nur anders aus, er sieht auch anders - die Welt, welche sich nicht mehr materialistisch erklären läßt, das in permamente Konflikte verstrickte Dasein und die Mitmenschheit in der Verfassung des Kollektivs und der Masse. Die Situation dauert seit der Jahrhundertwende. Seit der Zeit sieht sich die naturalistische Malerei des neunzehnten Jahrhunderts um ihren Kredit gebracht - ein Sachverhalt, an dem der zweckbestimmte "soziale Realismus" diktatorisch regierender Systeme nichts ändert. Die Kluft innerhalb der zeitgenössischen Kunst erstreckt sich weit weniger zwischen der Gegenständlichkeit und der Ungegenständlichkeit als zwischen der naturalistischen und einer das natürliche Erscheinungsbild eigenständig umsetzenden und verwandelnden Gegenständlichkeit. Hierfür hat die Kunstkritik mancherlei Begriffe geprägt. Sie reichen vom Expressionismus über den Surrealismus bis zur Sonntagsmalerei. Mit dieser vielfarbigen, in sich gestuften und differenzierten Gegenständlichkeit hat es der Betrachter in Wiesbaden zu tun.

Die noch lebenden Ausdruckskünstler der "Brücke"-Generation sieht man in Wiesbaden: Schmidt-Rottluff, Pechstein, Heckel (nur Nolde fehlt), die wesenverwandten Hofer, Caspar, Graf Luckner, die gleichaltrigen Dix und Kokoschka. Ihre Nachfolge erstreckt sich über Niederreuther bis in die jüngeren Jahrgänge: Ursula Ludwig-Krebs kommt von Heckel, Werner Arndt von Beckmann her (beide 1918 geboren). Für Camaro, Battke und Nesch, die in Berlin, Florenz und Norwegen leben, entbindet die augenfällige Wirklichkeit merkwürdig spukhafte Hintergründe. Der jüngste Aussteller, Dietmar Lemcke (1930 geboren), hat seinen Blick am Beispiel Klees geschärft. Gyorgy und Dorothea Stefula, am Chiemsee seßhaft, begegenen dem "Menschen und Ding" im Bereich des naiv erzählfrohen Märchens. Ist die gegenständliche Malerei also völlig zersplittert? Sie wird dadurch zusammengehalten, daß alle diese Maler es ablehnen, ihr Ziel in der Naturnachahmung zu sehen. Max Kaus rückt in seinen Wattenmeerlandschaften so weit vom Vorbild der Natur ab, daß die Grenzen zur abstrakten Malerei ver?ießen. "Mensch und Ding" sind Erregungsfaktoren, die einen geistigen Schaffensprozeß in Gang setzen. Nirgends treten sie"handgreiflich" als bloße Abschrift dessen auf, was das Sinnesorgan wahrnimmt. In einem Zeitalter, das allen handgreiflichen Beweisen zu mißtrauen gelernt hat. wird diese Schaffensweise zum Zeitausdruck.

Gerhard Schön


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17 Die neue Zeitung Berlin (7. April 1954)
Mensch und Ding

Der Nassauische Kunstverein folgt mit seinen die gegenstandnahe und die abstrakte Malerei ein-ander konfrontierenden Ausstellungen dem Bei-spiel der Mannheimer Kunsthalle, die vor zwei Jahren ein ähnliches Experiment unternahm. Bei der unter dem Motto"Mensch und Ding" im Wiesbadener Neuen Museum ausgestellten ersten, der gegenstandsnahen Kunst vorbehaltenen Abteilung scheint man sorgfältiger ausgewählt zu haben als seinerzeit in Mannheim, aber die Skepsis gegenüber der kategorischen Unter-scheidung zwischen Naturbezogenheit und Naturferne wird dadurch ganz und gar nicht zerstreut. Was bedeutet Gegenstandsnähe, heute, nachdem auch die künstlerisch ernst zu nehmenden realistischen Maler vom Kom-positionsprinzip der Kubisten und der Blauen Reitergelernt haben, andererseits von den "Abstrakten" ein überraschend neuartiges Naturbild assoziiert wird? Realismus, wie man ihn in Wiesbaden versteht, ist die volkstümlich-naive Malerei, im Stile Rousseaus (etwa Dorothea Stefula) ist der ausklingende Expressionismus. vertreten durch seine Altmeister (Heckel, Schmidt-Rottluff, Hofer. auch Dix) und einige junge Talente, für die vor allem Beckmann vorbildlich ist. Wie fragwürdig die Einteilungen sind, beweist Nesch, der mit gleichem Recht für die spätere Ausstellung der Abstrakten beansprucht werden könnte. Man sollte mit Leitworten sparsamer sein. Wenn man sich durch das Motto nicht beirren läßt, beschenkt die Ausstellung mit reinem Genuß. ------------er


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18 Stuttgarter Nachrichten (7. April 1954)
Mensch und Ding im Bild 1954
Neue deutsche Kunst im Museum Wiesbaden

"Présence de la Nature", "IL Realismo", so nannten sich jüngst Ausstellungen in Paris, bzw. Venedig. Wer sich heute in Deutschland Aehnliches vornimmt, muß zwei Klippen meiden: das Abgleiten zum Ewig-Gestrigen und die Beschränkung auf die "großen alten Männer". In Wiesbaden ist der jugendlich-moderne Museumsleiter diesen Gefahren aus dem Wege gegangen keines der Bilder hat Kompromiß- Charakter; von 46 Namen sind 13 die von unter 50 Jahren, 6 von solchen, die das 40. Jahr noch nicht vollendet haben. Von christlichen Themen nennen wir an erster Stelle den von mythischer Stimmung umwehten "Saul" von Dix. Carl Caspar zeigt eine farbig und formal südliche Tradition vorsichtig weiterbildende "Anbetung des Kindes", Dix eine "Pietà in den Trümmern", ergreifendes Beispiel der Rückkehr des einst revolutionär gesinnten Sächsischen Arbeitersohns zum christlichen Glauben. Die in letzter Zeit oft totgesagte Bildgattung Porträt ist mit vorzüglichen Leistungen vertreten, darunter drei Malerbildnissen: "Erich Heckel" von U. Ludwig-Krebs, "Max Pechstein" von A. Hartmann, "Oskar Kokoschka" von Kokoschka. - Von Darstellungen aus dem heutigen Leben verdient das "Wartezimmer" des Berliners W. R. Huth mit seiner leise angedeuteten Kafka-Stimmung besonderes Lob. Ruhig berichtende Darstellungen von z. T. hohem künstlerischem Reiz danken wir in diesem Bereich (den das 19. jahrhundert "Genre" nannte) weiterhin H. Teuber und M. Casper-Filser. Es fällt auf, daß die um 1900 so beliebten Aktdar-stellungen selten geworden sind (vertreten durch K. Klut und Schmidt-Rotluff). Das "Menschenpaar" des jungen, in der Nachfolge Beckmanns stehenden W. Arndt ist eine freie Schöpfung von leicht symbolischem Gehalt, der positiv wirkt. Ebenfalls als Bejahung dieser Welt erscheint Schmidt-Rotluffs expressiver "Vorfrühling": aus dem Dunkel senden Zwiebeln ihre aufstrahlenden Keime empor. Auch Blumenstilleben, von jeher ein Anzeichen menschlichen Einklangs mit der Natur, sind durch vortreffliche Arbeiten vertreten (H. Purrmann, W. Röhricht). Ein reichliches Drittel aller ausgestellten Gemälde sind Landschaften. Zu den wichtigsten gehören das expressionistische Erbe weiterbildende Gemälde von Niederreuther, Arndt und U. Ludwig-Krebs. Heckels "Strand" verrät eine besonnene "ultima maniera", in der ein Jugendstil-Element auffällt (das auch bei E. Frank sichtbar wird). Strenger komponiert und sachlicher aufgefaßt wirken die Landschaften von W. Hoffmann und Huth. Der in Venedig ansässig gewordene Peiffer-Watenphul hat vom farbigen Raffinement eines Saetti gelernt; manche am Rhein wohnende Maler verraten eine offensichtlich durch Reisender jüngsten Zeit angeregte Ausein-andersetzung mit französischer Kunst. Schließlich fehlt nicht ein Kabinett mit "Primitiven des 20. Jahrhunderts" in der Art des "Zöllners" Rousseau; doch wirken sie heute abseitiger und gesuchter als vor einem Menschenalter (z. B. G. Stefula). ----------------------------------------------------------------------------------h.t


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19 Süddeutsche Zeitung (7. April 1954)
Mensch und Ding im Bild 1954

Der Nassauische Kunstverein beweist im Wiesbadener Neuen Museum in seiner bis zum 20. Juni gezeigten Ausstellung, daß gegenständlich und modern keine Gegensätze zu sein brauchen. Die Maler dieser Ausstellung gehen noch (oder wieder) von der natürlichen Erscheinungsform des Menschen und der Dinge aus, nutzen aber dabei die Erfahrungen der vereinfachenden Formen-sprache der Moderne. Viele der Avantgardisten von einst wie Schmidt-Rottluff, Heckel, Pechstein halten sich heute an die Verläßlichkeit und Faßlichkeit des Realen. Das macht auch diese Ausstellung wieder deutlich, die kaum einen der wichtigen Namen vermissen läßt. Mit dem Schlagwort von der Restauration läßt sich diese Erscheinung nicht abtun. Die Frage der Ver-bindlichkeit ist zur Lebensfrage für die bildende Kunst geworden. Doch können auch Zeichen, Chiffren verbindlich sein. Das beweisen Arbeiten von Kaus, Camaro und Lammeyer. Die Rück-verbindung zu der sichtbaren Welt ist allerdings gehalten. Die Ausstellung ist nicht engherzig in ihrer Auswahl. Sie stößt immer wieder weit in das Gebiet der Abstraktion vor. Sie bringt auch jüngere und junge Maler wie den kraftvoll seine Landschaften bauenden Thomas Niederreuther, den sicher komponierenden Werner Arndt, die vielseitige Heckel-Schülerin Ursula Ludwig-Krebs, die auch in ihrer Malerei von der Linie ausgehende Babs Englaender und den erst vierund-zwanzigjährigen, farblich so reizvollen Dietmar Lemcke. Es besteht die Absicht, im nächsten Frühjahr am gleichen Ort die abstrakten Maler zusammenzufassen als den anderen Pol heutiger Malerei.--------------------------------------- hd


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20 Rheinischer Merkur (9. April 1954)
"Mensch und Ding im Bild"
Zuerst die Gegenständlichen / Von Gerhard Schön

Im Frühjahr 1955 sollen die Abstrakten das Wort haben; jetzt, in diesem Jahr; sind die Gegenständlichen an der Reihe. "Mensch und Ding im Bild" heißt die von der Stadt Wiesbaden und dem Nassauischen Kunstverein im Neuen Museum veranstaltete, durch Clemens Weiler besorgte Ausstellung. Indessen bedarf es gar nicht erst der Beteuerung objektiver Einstellung zur zeitgenössischen Kunst - des Versprechens also, es solle die andere "Richtung", die ungegenständliche, auch zu ihrem Recht kommen. Wer die Schau besucht, steht unter dem Eindruck einer sympathischen Kundgebung.

Nach bestimmten Gesichtspunkten geordnete Ausstellungen lassen sich leicht gehässig ausrichten. Die Extremisten, seien sie nun Reaktionäre oder sogenannte Avantgardisten, juckt es immer, dem Gegner eins auszuwischen, ihn herabzusetzen und anzuschießen. Das Opfer ist das - Publikum. Das schlimmste Beispiel in jüngster Zeit: Darmstadt 1953. "Vorsicht Gift" wäre als Motto geboten gewesen, da sich auf der Mathildenhöhe der Nachtrab aus dem "Haus der deutschen Kunst" ein Stelldichein gab. Warum die fatale Geschichte aufwärmen? Wiesbaden ist nicht weit von Darmstadt entfernt. Die Gelegenheit ist günstig, verrenkte Urteile wieder ins Lot zu bringen.

Die vielen, kaum noch zu zählenden Ausstellungen moderner Kunst seit Kriegsende sollten doch darüber Klarheit gebracht haben, daß der Gegensatz von naturferner und naturnaher Kunst kein wirklicher Gegensatz ist: daß sich die trennende Linie zwischen dem Naturalisten und dem Nichtnaturalisten hinzieht. Naturalist ist der auf eine Parteidoktrin, mag sie braun oder rot gefärbt sein, eingeschworene Naturkopist. Naturalisten, freilich sehr geistvolle und hochsensible, waren auch die Impressionisten. Der Naturalismus soll nicht einer Geringschätzung in Bausch und Bogen verfallen. Immerhin gab es einen Zeitpunkt, nach welchem es schlechterdings unmöglich war, weiterhin. nochnaturalistisch zu malen - den Zeitpunkt, als die Naturwissenschaft ihr materialistisch fundiertes Weltbild aufzugeben gezwungen war. Die Welt ging darüber nicht "verloren". Sie wandelte nur ihr Gesicht. Sie tat dies nicht zum ersten Male und wird es wohl auch nicht zum letzten Male getan haben. Seit der Jahrhundertwende etwa, seit Plancks Forschungsergebnissen, kann aber nur noch diejenige Kunst epochal zu sein beanspruchen, die "Mensch und Ding" als geistige Phänomene erkennt und gestaltet. Carl Hofer, der noch nie ein abstraktes Bildgemalt hat, ist keineswegs ein glattzüngiger Kunstpolitiker, wenn er in seiner Eigenschaft als Präsident des Deutschen Künstlerbundes die abstrakte Malerei als zeitnotwendig legitimiert. Umgekehrt ist von Kandinskij, der nach 1910 nur noch abstrakt gemalt hat, bekannt, daß er seine Schüler zu warnen pflegte, voreilig von der gegenständlichen Schaffensweise abzusehen.

Wer wird sich denn durch ein paar Stimmen, hauptsächlich einer amerikanischen Clique, wonach im Zeitalter der Relativitätstheorie jegliche gegenständliche Kunst ihren Kredit verloren habe, ins Bockshorn jagen lassen wollen? Wenn das Kausalgesetz nicht mehr unbegrenzt gilt, so gilt es doch immer noch innerhalb seiner Grenzen. Wenn die stoffliche Substanz der Natur in weitester Sicht fraglich wird. so steht es doch nach wie vor unzweifelhaft fest, daß sich ein Apfel höchst stofflich verspeisen läßt. Nur eben, daß sich hinter dem Apfel geheimnisvolle, dem bloß biologischen Zugriff entzogene Gründe des Schöpfungswunders auftun...
Ein Künstler des 20. Jahrhunderts kann ein Stillleben nicht mehr so sehen wie ein niederländischer Meister des 17. Jahrhunderts. Die moderne Kunst denkt nicht daran, weder das Stilleben noch die Landschaft, noch das Porträt aufzugeben, nur sieht sie sich darauf verwiesen, für die Wiedergabe eine neue, ihr und uns gemäße Form zu finden. Es sind nicht die schlechtesten modernen Künstler, die mit der Behauptung zurückhalten, sie hätten diese Form bereits gefunden.

Deshalb darf sich auch der Besucher in Wiesbaden nicht verwundern, wenn er, die Schau der 130 Arbeiten mit einem Blick zusammenraffend, den Eindruck hat, auf schwankendem Boden zu stehen. Von Pechstein bis Camaro, Hofer bis Battke, Schmidt-Rottluff bis zu den Stefulas, Dix bis Lammeyer. Caspar bis Lemcke, Kaus bis Arndt gilt als einzig gemeinsames Merkmal, daß die sichtbare und greifbare Natur dem Prozeß geistiger Umsetzung unterworfen ist. Die Ergebnisse selbst sind verschieden.
Da Bilder nicht mehr von der Netzhaut reflektiert werden, sondern nach dem Wort Georg Muches auch eines modernen gegenständlichen Malers - er fehlt leider in Wiesbaden wie auch Nolde, die Wessels, C. G. Becker -, in einem "optischen Metazentrum" entstehen, entfächern sich persönliche Neigungen und Geneigtheiten.

Moderne Kunst ist ein untaugliches Objekt für Hollerithmaschinen und Massentests.


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21 Westdeutsche Rundschau Wuppertal (10.April 1954)
Rendezvous der Gegenständlichen
Wiesbaden zeigt "Mensch und Ding im Bild"

Im Wiesbadener Neuen Museum stellen gegenwärtig - bis zum 20. Juni - an die fünfzig Maler der gegenständlichen Richtung aus. Es handelt sich um keine Fronde bestimmter Künstlerkreise gegen die gegenstandstandslose Malerei. Eine solche Fronde, jedenfalls einen dahingehenden Versuch, hat es im Vorjahr in Darmstadt gegeben, und vielleicht erinnert man sich, wie skandalös sich die Clique nazistischer Kunstreaktionäre gebärdete.

Selbstverständlich besteht zwischen den Richtungen gegenständlicher und ungegenständlicher Kunst ein Spannungsverhältnis. Es macht aber einen großen Unterschied aus, ob sich die Lager beschimpfen oder zur geistigen Auseinandersetzung entschließen. Auch für den gegenständlichen Maler, sofern nur die Gegenständlichkeit der Kunstübung auf der Gegenwärtigkeit des Empfindens und Denkens fußt; stellt der Ausstellungstitel "Mensch und Ding im Bild" weniger ein Kunstprogramm als ein Kunstproblem dar. Der Mensch von 1954 ist nicht mehr der von 1854. Er sieht nicht nur anders aus, er sieht auch anders - die Welt welche sich nicht mehr materialistisch erklären läßt, das in permanente Konflikte verstrickte Dasein und die Mitmenschheit in der Verfassung des Kollektivs und der Masse. Die Situation dauert seit der Jahrhundertwende. Seit der Zeit sieht sich die naturalistische Malerei des 19. Jahrhunderts um ihren Kredit gebracht, und so ist es auch eine sehr vielfarbige, in sich gestufte und differenzierte Gegenständlichkeit, mit der es der Betrachter in Wiesbaden zu tun hat.

Man sieht so dort die noch lebenden Ausdruckskünstler der "Brücke" - Generation: Schmidt-Rottluff, Pechstein, Heckel (nur Nolde fehlt), die wesensverwandten Hofer, Caspar, Graf Luckner, die gleichaltrigen Dix und Kokoschka. Ihre Nachfolge erstreckt sich über Niederreuther bis in die jüngeren Jahrgänge: Ursula Ludwig-Krebs kommt von Heckel, Werner Arndt von Beckmann her (beide geb. 1918). Für Camare, Battke und Nesch, die in Berlin, Florenz und Norwegen leben, entbindet die augenfällige Wirklichkeit merkwürdig spukhafte Hintergründe. Der jüngste Aussteller, Dietmar Lemcke (geb. 1930) hat seinen Blick am Beispiel Klees geschärft, Gyorgy und Dorothea Stefula, am Chiemsee seßhaft, begegnen dem "Menschen und Ding" im Bereich des naiv erzählfrohen Märchens.

Die gegenständliche Malerei also völlig zersplittert? Sie wird dadurch zusammengehalten, daß alle diese Maler es ablehnen oder nicht mehr fertigbringen, ihr Ziel in der Naturnachahmung zu sehen. Max Kaus rückt in seinen Wattenmeerlandschaften so weit vom Vorbild der Natur ab, daß die Grenzen zur abstrakten Malerei verfließen. "Mensch und Ding" sind Erregungsfaktoren, die einen geistigen Schaffensprozeß in Gang setzen. Nirgends treten sie "handgreiflich" als bloße Abschrift dessen auf, was das Sinnesorgan wahrnimmt. In einem Zeitalter, des allen handgreilichen Beweisen zu mißtrauen gelernt hat, wird diese Schaffensweise zum Zeitausdruck.--------------------------------------------------------------------S.

Abbildung: Adolf Hartmann: "Bildnis Max Pechstein" aus der Wiesbadener Ausstellung "Mensch und Ding"


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22 Hamburger Anzeiger (11.4.54)
Frei von jeder Gehässigkeit
Beispielhafte Ausstellung gegenständlicher Kunst in Wiesbaden

Hessen hat eine Scharte ausgewetzt. Auf die vorjährige so unrühmlich bekanntgewordene Ausstellung in Darmstadt, aus deren Programm einer Sammlung zeitgenössischer gegenständlicher Malerei und Plastik der Pferdefuß boshafter Kunstreaktion zum Vorschein, gekommen war, hat nun Wiesbaden mit einer wünschenswert sauberen, von antiabstrakten Gehässigkeiten freien Veranstaltung naturnaher Kunst geantwortet. Darmstadt hatte dem Besucher die Meinung aufzuzwingen versucht, es stünden die gegenständliche und die gegenstandslose Kunst einander feindlich gegenüber, und überdies der gegenstandslosen den Anschein von Scharlatanerie und Bluff gegeben.

In Wiesbaden wird das Spannungsverhältnis der beiden Kunstflügel nicht verschwiegen, jedoch zum Wohle förderlicher Auseinandersetzung fruchtbar gemacht. Im Neuen Museum sind keine gegenstandslosen Arbeiten zu sehen, wohl aber eine erkleckliche Anzahl solcher, die sich weit, verschiedentlich bis zum Grenzübertritt ins Abstrakte, vom natürlichen Erscheinungsbild gelöst haben. Ähnliche Grenzübertritte sind ja auch aus dem Lager der gegenstandslos schaffenden Künstler zu verzeichnen. Täuscht nicht alles, so wird die Zukunft der modernen Kunst in eben jenen Grenzgebieten liegen, da sich die beiden heute maßgeblichen Schaffensprinzipien berühren und überschneiden.

Eine Ausstellung wie diese Wiesbadener, der kein Programm einer Gruppe zugrunde liegt, hängt vom Spürsinn dessen ab, der sie besorgt. Clemens Weiler hat sich in nord und süddeutschen, in rheinischen Ateliers umgesehen, nachdrücklich auch in Berlin, dabei den Anteil der Generationen berücksichtigt. So ist ein verläßlicher Querschnitt zustande gekommen. Die noch lebende "Brücke"-Malerei hat ihren Platz: Schmidt-Rottluf, Heckel, Pechstein; nur Nolde fehlt. Pechstein, den mancher nur noch "historisch" hat werten wollen, erweist sich mit dem graugrün hellgestimmten "Nach dem Morgenbad" von 1950 auf alter Leistungshöhe.

Gut vertreten sind die gleichaltrigen Hofer und Caspar, gut ausgewählt (!) ist Otto Dix. Doch soll hier keine Liste sämtlicher 46 Aussteller - sie hätte als junge Begabungen den aus Stralsund gebürtigen Werner Arndt in der Nachfolge Beckmanns, die aus Danzig stammende Heckel-Schülerin Ursula Ludwig-Krebs und den blutjungen, an Klee geschulten Ostpreußen Dietmar Lemcke zu nennen - aufgestellt werden. Was hat es mit dem Thema der Ausstellung, "Mensch und Ding im Bild", worunter auch die Landschaft zu verstehen ist, auf sich? Kaum noch begegnet man dem Menschen und der Natur in jener Geschlossenheit, die das Kunstmerkmal der alten Meister gewesen sind. Dies ist die erste Antwort, und niemand, der sich über den tiefgreifenden Wandel des Weltbildes und des Welterlebnisses seit Dürers Tagen Gedanken macht, kann sie verwunderlich finden. Vielleicht ?ndet er sie bedauerlich - so wie die am Chiemsee lebenden Gyorgy und Dorothea Stefula es halten, Sonntagsmaler, die über die Wirklichkeit im Rösselsprung des Märchens hinwegtanzen?

Weiß man, daß es - Picasso war, der die Sonntagsmalerei durch seine Entdeckung des Zöllners Rousseau legitimiert hat? Handgreiflich faßbar sind die Gegenstände dieser Malerei so wenig wie die Objekte der traumhaft geschauten, zu Chiffren abgekürzten Malereien Camaros ("Die Braut", "Badehütte am See"). Die Realität des Menschen und der Dinge wird nicht als körperliche Substanz erfahren, sondern auf dem Bildschirm geistigen Erlebens erfühlt oder begriffen. Die Subjektivität des Darstellenden verschmilzt mit dem darzustellenden. Gegenstand zum je nachdem naturnäheren oder naturferneren Kunstwerk. Moderne Kunst und moderne Naturwissenschaft, die auf ihre Weise von der Anschauung fundamentale: Materie abgerückt ist, verschränken sich. In neuen Wattenmeerlandschaften von Max Kaus sieht sich die Dialektik "konkret-abstrakt" am Ende.

Verständlich, daß das Bild des Menschen größere Schwierigkeiten bereitet. Von 130 in Wiesbaden gezeigten Arbeiten sind zwar rund 40 Figurenbilder, aber noch nicht ein Dutzend läßt sich als Porträt ansprechen. Der Dialog des Malers und seines Gegenstandes kommt vor einer Landschaft oder einem Stilleben leichter in Gang. Es heißt, der Zerfall der Gesellschaft habe den Verfall der Porträtmalerei nach sich gezogen. Aus dem Blickwinkel der Soziologie ist das Problem zu vordergründig gesehen. Im Zusammenhang eines aus den Angeln überlieferter Vorstellungen gerissenen Weltbildes ist der Mensch, wiederum "der Rätsel größtes" wie einst in der Antike, aus dem "Zeitalter sozialer Färbungen" (Benn) getreten und nur im Raum metaphysischer Begegnungen neu zu fassen. Selbst der figural herrliche Rhythmus der "Jünglinge" Hofers läßt viel vermissen.

Dennoch ist es nicht fruchtlos, die Ausstellung zu durchmustern: Heinz Battkes Zeichnung des Verlegers, Woldemar Klein hat die graphische Präzision, den spröden Ausdruck, welche die ungeschmälert gesehene Persönlichkeit trotzdem "typisch" wiedergeben. In seinem Bildnis schwingt die Stimme der Zeit, der es entsprang, unüberhörbar mit.-------------------------------------------------------------------Gerhard Schön


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23 Hessische Nachrichten Kassel (13. April 1954)
Mensch und Ding im Bild

Im Neuen Museum Wiesbadens wurde eine Ausstellung eröffnet, die wir als notwendige Ergänzung zur diesjährigen Künstlerbundausstellung ansprechen möchten. Schon der Titel "Mensch und Ding im Bild 1954" zeigt, daß es den Veranstaltern darum geht, einen ganz bestimmten Themenkreis als Ausgangspunkt der Kollektion zu wählen, nicht Malerei der Gegenwart schlechthin. Das Bildmaterial stammt im wesentlichen aus den letzten drei Jahren. Wenn die bewußt "primitive" Sonntagsmalerei, hinter der sich ein unserer Zeit nun wirklich nicht entsprechendes geruhsames Biedermeiertum verbirgt, nicht gezeigt wäre, würde der Eindruck unbeeinträchtigt gut sein. Das Bild der Menschen, die Welt des Menschen - die Beziehungen zur sinnlich wahrnehmbaren Welt werden in den überhundert Bildern ihrer künstlerischen Klärung zugeführt. Alle Erfahrungen der modernen "abstrakten" Malerei klingen hier an. Verborgen in der Gegensätzlichkeit der "Nonne" von Hermann Teuber (1953) und Alexander Camaros "Braut" (1948), sichtbarer bei der Mehrzahl der anderen. Wenn wir anerkennen und voraussetzen, daß "Das Bild des Menschen", das seit je das Anliegen der künstlerischen Gestaltung war, weil sich die Welt in Beziehung zum Menschen befand, sich in ihm und durch sein Tun bewahrheitet, auch in dieser, unserer Gegenwart seinen Sinn hat, dann möchten wir sagen, daß diese kleine Ausstellung in Wiesbaden als wirklich zu bejahende Summe der malerischen Konzeption des Menschen in der Welt bedeutungsvoll ist. Es ist eine stille Welt, man könnte sagen, daß sie ohne Pathos ist, und - eigentümlich - das Sinnen des einzelnen, das Beschäftigtsein mit sich selbst, die Distanz zum anderen prägt den Gesamteindruck. Und wie wohltuend, einmal nicht als tragendes Thema "Das Antike in der Malerei der Gegenwart". So bleibt das Urteil des Betrachters frei von Bildungsreminiszenzen, und er nimmt gerne in Kauf, daß eine Reihe von Malern fehlen, die sich in einer mythologischen Menschenwelt bewegen. Die Wiesbadener Ausstellung bleibt bis zum 20. Juni geöffnet.-------------------------------------------------------------------------C. B.


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24 Oberhessische Presse Marburg/Lahn
Ausschnitt aus der "Oberhessischen Presse" vom: 20. 4. 54
Zeitgenössische deutsche Malerei
Die Sprache der Engel und die Aussagekraft der Welt - Zu zwei großen Ausstellungen in Frankfurt und Wiesbaden

Was die Kunst zu sagen hat. betrifft andere Bereiche als die des vergänglichen Tages. Wie sie es sagt, ist aber aufschlußreich für ihre Zeit. Kein Wunder, daß uns immer von neuem danach verlangt. die uralten Mythen der Welt und des Lebens in der Sprache der zeitgenössischen Kunst zu vernehmen. Dürfen wir doch hoffen, von ihr gleichzeitig etwas über uns selbst zu erfahren.

Unternehmen wir den Versuch, aus der Vielzahl der sich oft widersprechenden Stimmen gegenwärtiger Künstler, den allen gemeinsamen Grundakkord herauszuhören, sind uns auf dem Gebiet der Musik im Zeitalter des Rundfunks kaum Grenzen gezogen. Auch die Gewinnung eines breiten Ueberblicks über die Literatur unserer Zeit ist ohne besondere Schwierigkeiten möglich. Nur die bildende Kunst setzt solchem Bemühen. bis zur Stunde erbitterten Widerstand entgegen. Nach wie vorauf das Original angewiesen, könnten wir nur durch Besuch der seltenen Ausstellungen in den großen Metropolen eine ungefähre Vorstellung von den wirkenden Kräften ermitteln. Sie bleibt mit großen Lücken behaftet. Nur ganz wenige Museen besitzen moderne Abteilungen. Und diese "Moderne" endet eigentlich da, wo unsere zeitgenössische Kunst anfängt.

Die moderne Kunst ist ein halbes Jahrhundert alt. Wüßte man es nicht, man erführe es in einer geradezu erschütternden Deutlichkeit vor den Bildern jener Generation, die ihr den Weg in Deutschland geebnet hat. Die "großen Alten" sind nur noch Schatten ihrer eigenen Vergangenheit. Sowohl die Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes in Frankfurt (bis 23. Mai im Haus des Deutschen Kunsthandwerks) als auch die Schau "Mensch und Ding im Bild 1954" in Wiesbaden (Neues Museum bis 20. Juni) zeigt Bilder der Expressionisten: Heckel, Schmitt-Rottluff, Max Pechstein, Dix, Hofer, Münter u. a. Ihrer geschichtlichen Großtat wird kein Abbruch getan, wenn man der Wahrheit die Ehre gibt: Die von ihnen vorgeführten Arbeiten sind keine Attraktionen mehr. Sie sind zum Teil schwach, ja erschöpft, zum andern Teil Wiederholungen von etwas Unwiederholbarem: Konservierte Revolution. Was zur Zeit des Expressionismus als eine Befreiungstat erschütterte, vermag heute bestenfalls ehrfürchtige Bewunderung zu erwecken. Die vorderen Fronten des künstlerischen Kampfes haben sich verlagert. Wo verlaufen sie heute? Und wer treibt sie voran?

Frankfurt.
Schwerpunkt im Abstrakten

Der "Deutsche Künstlerbund" (dessen Ehrenpräsident Bundespräsident Heuss und dessen Vorsitzender Karl Hofer ist) darf wohl als die repräsentativste unserer Künstlervereinigungen angesprochen werden. Jährlich gibt er in einer anderen deutschen Großstadt eine Bestandsaufnahme der neuen Leistungen seiner Mitglieder. Hier beginnt die Beschränkung. Denn auch außerhalb stehen wesentliche deutsche Künstler, die im Gesamtbild nicht fehlen dürften. Vielleicht auch hat sich - als natürliche Reaktion auf eine reaktionäre Vergangenheit - innerhalb des Künstlerbundes der Schwerpunkt etwas zu sehr ins Abstrakte verlagert. Jedenfalls dominiert auch in dieser vierten Künstlerbund Ausstellung die "absolute Malerei". An der Spitze: Willi Baumeister mit farblich sehr eindrucksvollen organismenähnlichen Gebilden, Georg Meistermann mit klar ausgeprägten Formen, die eine Art Flugraum um sich schaffen, Ernst Wilhelm Nay mit leuchtenden rhythmischen Gruppierungen, die diesmal festere Umrisse gewonnen haben und Otto Ritschl mit sehr mutigen malerischen Hieroglyphen: sie alle in auffallend großen Formaten. Aber dann fällt es .plötzlich schwer, noch einen einzigen Namen herauszuheben, dessen ungegenständliche Aeußerung nicht auch zugleich als Aussage "gegenstandslos" wäre.

Gewahrt man in diesem Zusammenhang nicht, welche Intensität des Formgefühls dazugehört, unter Verzicht auf alle Assoziationen an die gegenständliche Welt wirkliche Aussagen - nicht nur dekorative Erfreulichkeiten (und Unerfreulichkeiten) zu produzieren? Die letzte künstlerische "Substanz" eines Gemäldes liegt so paradox es klingt - in seiner Struktur: im Farblichen mag man es die "Palette", im Formalen den "Formenkanon" nennen. Herausgelöst aus der Welt der Dinge - ist dies die Sprache der Engel, auch der gefallenen. Solche Sprache zu leisten, ist Sache von Genies. Aber orphische Urworte können nicht im Sprechchor gesagt werden. Nirgends anderswo ist Mittelmäßigkeit so erbärmlich wie in der absoluten Malerei. Man kann keine Schule daraus machen. Denn die vielen, sie verstärken "das Lager" nicht, sie schwächen es, sie kompromittieren es.

Mit der ungegenständlichen Malerei ist dieser Kunst ein neuer Raum aufgestoßen worden, den sie gewiß niemals mehr verlieren wird. Wer aber könnte so wenig wissen vom echten malerischen Vergnügen an der Schöpfung und wer so wenig den Menschen kennen, daß er glauben dürfte, es handelte sich bei ihr nun und für immer um "die Malerei"? Kandinsky, der erste, der das Tor auf stieß in diesen mystischen Raum der reinen Farben und Formen wußte schon: "Wie jedes gesagte Wort - Baum, Himmel, Mensch - eine innere Vibration erweckt, so auch jeder bildlich dargestellte Gegenstand. Sich dieser Möglichkeit zu berauben, wäre das Arsenal seiner Mittel zum Ausdruck vermindern."

Wiesbaden:
Neue Gegenständlichkeit

Wenn wir die Absicht der Ausstellung im Wiesbadener "Neuen Museum" recht verstanden haben, ist sie nicht programmatisch gemeint. Sie will nicht Antithese sein zur "ungegenständlichen" Malerei. Aber sie will helfen, die Gesamtheit des zeitgenössischen Kunstschaffens zu überblicken. Und dadurch gewinnt sie gerade auch durch die Gleichzeitigkeit mit der Frankfurter Künstlerbund Ausstellung eine Bedeutung, die nicht abgeschwächt werden kann durch den Einwand, Sie wäre auch in dem von ihr abgesteckten Bereich nicht lückenlos. Wer wollte das verlangen? Ein solcher Versuch wäre gewiß über die Kräfte der hessischen Landeshauptstadt gegangen. Hier berühren wir wieder einmal die schmerzlichste deutsche Wunde dieser Nachkriegszeit: Jene Stadt, die allein in der Lage wäre, einen Überblick von Verbindlichkeit zu geben, die Hauptstadt Berlin, ist weder Hauptstadt mehr, noch liegt sie in einem möglichen Ausstrahlungsraum. Wir scheinen zum Provinzialismus verdammt zu sein.

Und dennoch: die Wiesbadener Ausstellung gehört zum Besten, was wir in dieser Art bisher sehen konnten. Abgesehen von der spürbar sicheren Hand, die aus dem verfügbaren Material ausgewählt hat, erweist sie ihre Bedeutung darin, daß sie an keiner Stelle zurückgleitet in eine Gegenständlichkeit naturalistischer Zeit. Sie läßt in deutlicher Weise erkennen, daß die "neue Gegenständlichkeit" nichts zu tun hat mit einer"neuen Sachlichkeit". Gerade in dieser Kunst, die sich wieder herausfordern läßt durch die Gegenstände der Welt, offenbaren sich die großen Eroberungen, die die moderne Kunst im vergangenen halben Jahrhundert gemacht hat. Die menschliche Phantasie hat ihre beherrschende Rolle wiedergefunden, die formalen Exerzitien haben die Ausdrucksmöglichkeiten ungemein bereichert: So stehen wir - in der bildenden Kunst - mitten in einer schöpferischen Entwicklung, die nach allen Seiten geöffnete Tore findet. Da der zeitkritische Akzent der zwanziger Jahre weggefallen ist, da ein geheimes Bemühen um echte, innere Identität von Gehalt, Gegenstand und Form lebendig ist, begegnen wir allenthalben den Ansätzen zu wahrhaft poetischen Schöpfungen. Dieses Verbindende klammert die "reine Lyrik" der Gegenstandslosen mit zahllosen Varianten abstrakten Schaffens wie mit den Nachfahren des Sonntagsmalers Rousseau zusammen. Daß in einer solchen, durchwegs die Wirklichkeit verzaubernden Kunst die Surrealisten überflüssig geworden sind, findet man bestätigt. Sollten Namen genannt werden, die sich in beiden Ausstellungen behaupten, hießen sie vielleicht: Willem Grimm, Max Kaus, Fritz Kronenberg, Thomas Niederreuther, Kurt Solms, Ernst Schumacher, Friedrich Vordemberge. Arthur Fauser hätte in Wiesbaden nicht fehlen sollen, Werner Arndt nicht in Frankfurt. Aber die räumliche Nähe der beiden Ausstellungen führt nicht nur zu Überschneidungen, sie läßt auch die Ergänzungen fruchtbar werden. Und trotz der unvermeidlichen Lückenhaftigkeit beider schimmert so etwas wie die Landschaft der deutschen zeitgenössischen Malerei hindurch: Wenn nicht alles trügt, eine morgenhelle Landschaft, deren Konturen sich aus dem farbig-leuchtenden Nebel eines Sonnenaufgangs herauszulösen beginnen.

Rainer Zimmermann

Abbildungen:
Werner Arndt (geb. 1918 in Stralsund, lebt in Eisenbach i. Taunus): Menschenpaar, Oelbild aus der Ausstellung in Wiesbaden

Wolf Hoffmann (geb. 1898 in Werningerode, lebt in Berlin): Hafen, Oelbild aus der Künstlerbundausstellung in Frankfurt (Siehe nebenstehenden Beitrag: "Zeitgenössische deutsche Malerei").


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25 Deutsche Zeitung und Wirtschafts-Zeitung (10. Mai 1954
Mensch und Ding im Bild / Eine Ausstellung in Wiesbaden

Der Titel ist gut, die Bilder sind es weniger. Im Titel steckt sogar ein philosophischer Handgriff, der den Besucher packt, in ihm liegt aber auch eine Täuschung, die sich besonders auf die angegebene Jahreszahl bezieht. Das Jahr bedeutet hier die Werkstattnummer, und viele Bilder sind laut Katalog in jüngster Zeit entstanden. Aber es bedeutet nicht den Stil, die Herkunft aus einer Epoche oder das echte Datum unserer Gegenwart. Man hat genommen, was man bekam; die Alten bloßgestellt, in dem man sie ausstellte, die Dix und Pechstein, Hofer, Heckel und Unold. Und endlich von den Jungen nicht entfernt das gezeigt, was sie an Begabung zu bieten haben.

An den großen Namen offenbart sich die Tragödie des Expressionismus, die hier eine Tragödie des persönlichen Alterns ist. Dix hat den vierschrötigen König Saul gemalt, ein Felsblock von Mensch, der nach Pappe schmeckt. Seine "Pietà" ist von roten Blutmalen sorgfältig zerrissen - die Pünktchen des Grauens, die von seinen alten Kriegsbildern noch herüberleuchten. Das Kind (in "Mädchen und Kind") ist ein. Abziehbild, verglichen mit jenem prallen Erstling der Natur, den er vor drei Jahrzehnten in einem Kinderbildnis malte. Eine pastellene Leblosigkeit überall. Man kann wohl nicht Expressionist sein Leben lang sein, weder er noch Heckel, noch Schmidt-Rottluff, noch Hofer und Unold, die einst der ersten neuen Sachlichkeit der zwanziger Jahre zugerechnet wurden.

Der Aussonderungsprozeß sieht, wenn wir von den Siebzigjährigen auf die Fünfzigjährigen kommen, besser aus. Zuerst "Die Braut" von Alexander Camaro, die wie ein Schemen aus blassem Lila einer schwarzen Männergestalt entgegentritt. Der Hintergrund löst sich grün und blau schimmernd auf, als sei das Gefühl der Erwartung auf ein weites Zeittuch projiziert. Zweimal finden wir die pathetische Einsamkeit des Zimmers wieder, die Edward Munch zuerst erfunden hat, diese - man kommt um den Ausdruck nicht herum - existentielle Einsamkeit, das Angstzimmer, das Menschen enthält, die es nur um so leerer erscheinen lassen. "Wartesaal” von Rudolf Huth deutet es schon in der Überschrift an; malerisch intensiver ist die "Gymnastikstunde" von Werner Laves. Beide Maler sind aus Berlin, wie denn diese Stadt sie wieder rührig hergeschickt hat, die Akademiker und die anderen. Max Kaus ist da sehr farben- und fleckenseitig, wofür das Gemengsel matten Wassers am Wattenmeer herhalten muß; Ernst Schuhmacher in der Solidität, die so. typisch, aber auch nicht mehr ist. Graf Luckner mit dem Kopfbild der drei Frauen, Dietmar Lemcke, der jüngste Jahrgang (1930) und eins der Wunderkinder der dortigen Schule, sowie W. Arndt, mit dem deutlich von Beckmann inspirierten Hafenbild einer Mittelmeerinsel. Als geschlossenste Persönlichkeit zeigt sich Thomas Niederreuther aus München, der herrisch mit seinen Landschaften umgeht oder geordnete Massen bei einem Stadtbild aufzubauen versteht. Aus der Reihe treten die letzten Bilder des kürzlich gestorbenen Wolf Röhricht, der novellistisches Erzählertalent mit einem Zeichenstift vereint, der nicht vorlaut ist. Seine "Havellandschaft" hat die halbwache Genauigkeit des Traums und Fontanesche Stimmung.

Dann gibt es noch die Reihe der Halb-Realisten, die das Modell im Atelier oder die Wiese draußen der photographischen Exaktheit entkleiden, um sie in das magische Licht eintauchen zu lassen; die die Farben oft sehr, die Linien unmerklich, die Perspektive je nach Geschmack bedeutend verschieben oder den Raum ganz ausblasen, daß der Gegenstand nur wie ein Fleck auf der Leinwand übrig bleibt. Die Magie ist hier an die seherische Kraft gebunden oder - an Mode. Es hat sich ja gezeigt, daß auch viele unserer Abstrakten auf einem Pferd durch die Realität reiten und gegenständlich werden, ja daß sich ihre Stimmung, das Gewoge der Farben und Kurven an einem Gegenstand wieder verfestigt. An Erfindung ist die moderne Malerei nicht arm. Sie ist als biologischer Vorrat in den Künstlern genug vorhanden, wenn sie für Ornament und Industrieform herangezogen wird, für Mode, Ausstellung, Innendekoration und Bühnenbild. Nur in dem einsamen Gegenüber von Mensch und Ding, bei dem der Künstler so oft in Zweifel gerät, ob er nicht lieber seinen Impuls an Stelle der Realität darstellen solle oder ein ganzes Gewühl von Impulsen, wird er von der Erfindungskraft verlassen. Das zarte, ach zartere Ich der Künstler vermag ohne Krücken und Institutionen der Welt draußen ebensowenig entgegenzutreten, wie es seine Mitmenschen können. Der Gebrauchskünstler gewinnt wieder Charakter, der Künstler an sich quält sich recht ab. Das Gefecht zwischen Ding und Nicht-Ding, das die Maler von den Philosophen übernommen haben, geht - wie die Wiesbadener Ausstellung zeigt - mit einem vollen Unentschieden wei-ter.---------------------------------------------------------------------------------------------------------E.S.


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26 Westfalenpost, Soest
(26.5.54)
Von Jahrgang 1878 bis Jahrgang 1930
Wiesbadener Ausstellung "Mensch und Ding im Bilde 1954"

Nach Kunstausstellungen, die ausschließlich abstrakter Malerei gewidmet waren, wird in Wiesbaden - etwa im Sinne der Pariser Schau "Présence de la Nature" - der Versuch gemacht, kompromißlos zu sichten, was im gegenständlichen Bereich der deutschen Kunst von heute gültig und echt ist. Mit acht Namen ist die Generation der "großen Alten" von über 70 vertreten. die im ersten Drittel unseres Jahrhunderts Geschichte gemacht haben. Das expressionistische Erbe lebt am stärksten bei Schmidt-Rotluff weiter, gedämpft bei Heckel und Pechstein. Weiterhin gehören Hofers Figurenkompositionen, Purrmanns, Gabriele Münters und Maria Caspar Filsers Stilleben und Carl Caspars religiöse Darstellungen zu den stärksten Eindrücken der Ausstellung.

Die zehn Künstler, welche gegenwärtig das 6o. Lebensjahr vollendet und das 70. noch nicht erreicht haben, präsentieren sich weniger geschlossen: Kokoschkas Selbstbildnis und "Pietá in den Trümmern" von Dix, ferner "Die Nonne" von H. Teuber und der ."Märchenerzähler" von Crodel sind hervorzuheben. Es folgen 15 Maler von 50 bis 59 Jahren, unter denen A. Hartmann, W. Hoffmann, W. R. Huth und Meyboden mehr sachlich berichten, während eine phantastische Umformung des Gesehenen etwa bei Camaro und Lammeyer auffällt. Erstaunlicherweise sind die bisher deutlich gewordenen Stilnuancen auch bei den 13 Künstlern (von insgesamt 46) zu verspüren, die das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

Der 1909 geborene Th. Niederreuther steht mit seinen starkfarbigen Landschaften in der Linie des Expres-sionismus, W. Grimm und F. Spindel neigen zu grotesken Motiven, E. Frank bildet aus Gesehenem kunstvolle farbige und formale Harmonien und E. Schumacher berichtet mit betonter Sachtreue. Daß nur sechs Künstler unter 40 Jahren vertreten sind, erscheint bedauerlich; jedoch ist der Querschnitt durch die junge Generation mit sicherer Hand gezogen. Wiederum begegnen uns in W. Arndt und U. Ludwig Krebs vielversprechende Talente, welche die Wirklichkeit expressiv steigern, während B. Engländer die persönliche künstlerische Handschrift unterdrückt. B. Krimmel im Sinne gewisser französischer Richtungen einen farbigen Abglanz der Natur von etwas spielerisch-mondänem Charakter auf die Leinwand zaubert. Die höchst interessante, an bedeutenden Werken reiche Wiesbadener Schau lehrt, daß seit etwa einem halben Jahrhundert im großen ganzen sich Stilströmungen nicht mit Altersgruppen decken, sondern durch sie hindurchgehen. Das kann als "spätzeitIich" aufgefaßt werden, ist jedoch eher wohl das Zeichen einer Uebergangsepoche. Welcher Weg in die Zukunft führt, bleibt offen.------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Dr. N. v. H.


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27 Trierische Landeszeitung (31.5.54)
Mensch und Ding im Bild der Gegenwart
Zu einer Ausstellung gegenständlicher Malerei in Wiesbaden

Wir haben hier verschiedentlich schon versucht, die Entwicklung der deutschen Kunst seit 1945 nachzuzeichnen: jenes nervöse Suchen und Tasten zunächst, als die deutschen Künstler endlich ihre Hände wieder frei fühlten, die rastlose Reaktion auf die teuflische Unterdrückung; das unüberlegte, sinnlose Wiederanknüpfen dort, wo der Faden 1933 abgerissen war; die allmähliche Konsolidierung; die zunehmende Ausprägung von Charakteren und Stilen; und schließlich die scharfe Scheidung der Geister nicht in die Alternative des landläufigen Kunsturteils: hie realistisch, hie "abstrakt" (wobei dieses Wort aber auch für alles herhalten muß, was sich auf Anhieb nicht identifizieren läßt), vielmehr in der Auffassung der einen und der anderen vom Kunstwerk als solchem: ob es "naturgetreue" Nachahmung sein soll oder Neuschöpfung unter dem Gesetz der Form, gestaltete Auseinandersetzung mit dem Leben. Wohlgemerkt: nicht der Naturalismus als solcher soll als unkünstlerisch abgetan werden, sondern nur die platte Naturkopie; denn Naturalisten, freilich sehr gesitvolle und hochsensible, waren letztlich auch die Impressionisten, gleichwohl waren ihre Bilder Neuschöpfungen, "gesehen durch ein Temperament". Aber als die positivistisch enträtselte Natur durch die Erkenntnisse der Kernphysik und Quantentheorie aufs neue in ihrem Schöpfungsgeheimnis bestätigt wurde, war es nur natürlich, daß die erweiterte Sicht auch in der Kunst ihren Niederschlag fand. Nicht die Natur an sich, sondern nur eine bestimmte, zeitweilig für gültig erachtete Vorstellung von der Natur wurde angezweifelt und zu Fall gebracht. Mit anderen Worten: von dem Zeitpunkt an, da die Naturwissenschaft gezwungen war, ihr materialistisch fundiertes Weltbild aufzugeben, war es schlechterdings unmöglich, weiterhin noch naturalistisch zu malen. Und so kann seit der Jahrhundertwende nur noch die Kunst epochal zu sein beanspruchen, die "Mensch und Ding" als geistige Phänomene erkennt und gestaltet.

Auf allen Ausstellungen, die wir in den letzten Jahren sahen, überwog freilich die naturferne, völlig gegenstandslose Malweise, die reine Erfindung, das freie Spiel mit Farben und Formen. Wir gehören nicht zu denen, die diese Kunstrichtung überbewerten und ihr allein die Zukunft lassen wollen. Wir vermögen in ihr allerdings auch nicht generell eine Zerstückelung, eine Diskontinuität, einen Verlust an Substanz zu erkennen; wir halten sie für eine Bereicherung der künstlerischen Formensprache, die wir nicht entbehren möchten; und wir sehen ihre unzweifelhafte Bedeutung zumindest darin, daß sie die Gesetze der Komposition in Form und Farbe wieder ins allgemeine Bewußtsein gebracht hat in einer Zeit, da diese über der bloßen Gegenständlichkeit verlorenzugehen drohten. Indessen sind wir nicht bereit, jenen zuzustimmen, die da meinen, im Zeitalter der Relativitätstheorie habe jegliche gegenständliche Kunst ihren Kredit verloren und nur die Abstraktion habe Zukunft. Darin geben uns Maler wie Nolde und Frank, Hofer und Arndt, Caspar und Camaro, um nur wenige - alte und jüngere - Namen zu nennen, recht. Und darin bestätigen uns auch sämtliche Ausstellungen von Rang, in denen die "Gegenständlichen" neben den "Abstrakten" allemal ein sehr gewichtiges Wort mitsprechen. Vor allem ist die zur Zeit (bis zum 20. Juni) in Wiesbaden gezeigte Ausstellung "Mensch und Ding im Bild 1954" eine einzige, großartige und überzeugende Bestätigung dafür, daß es nicht mehr so sehr auf Reinigung und Reform und Avantgardismus ankommt als vielmehr darauf, Wege zu suchen, auf denen diejenigen Gegenstände wieder frisch bei uns ankommen mögen, die in unserer Zeit noch halten oder versprechen, daß aus und mit ihnen die Phantasie wieder ein Bild bewirken kann, das der Wirklichkeit näher kommt als die "abgemalte" Wirklichkeit. Das ist es, was die Maler, die in Wiesbaden ausstellen (und Nolde, Muche, Wessel, Schmurr, Fuhr, Irmgard Zumloh, C. G. Becker, die befremdlicherweise nicht vertreten sind) wollen. (Denn was hatte es auf sich, als damals in der Malerei der "Gegenstand" - also Mensch und Ding gemieden - wurde? Das war ja kein Vernichten der Wirklichkeit, sondern ein Sich-Entfernen, ein Abstand-Suchen, das neuen Gewinn von Wirklichkeit herbeiführen sollte.)

Das allgemeine Bild freilich, das sich bietet, ist alles andere als einheitlich. Da sind die "großen Alten" (Hofer, Heckel, Schmidt-Rottluff, Pechstein, Kokoschka, Gabriele Münter und Maria Caspar Filser); Karl Caspar mit religiösen Bildthemen; da ist expressionistisches Erbe spürbar (Dix, Niederreuther) und der Einfluß Beckmanns (Arndt); ein beruhigter Nachimpressionismus wirkt bei Purrmann, Frank, Lemcke, Kaus und Kluth weiter in mediterraner Klarheit und Farbigkeit. Andere (Wie Blattke, Camaro, Huth, Laves, Lammeyer, Ursula Ludwig-Krebs, Sohns, Ernst Schumacher) haben einen mehr oder minder suggestiven Stil gefunden, der zwischen Kafka und den französischen "Neo-Realisten" angesiedelt ist. Um eine geistige Umsetzung der sichtbaren und greifbaren Natur bemühen sich mit sehr selbständigen Mitteln die Porträts von Hartmann, Herkenrath und Meyboden, die Landschaften von Hoffmann, Röhricht, Vordemberge; nennen wir weiterhin Graf Luckner, Lore Masius, die Hamburger Grimm und Kronenberg, Spars und Spindel, Max Unold und Hermann Teuber, Pfeiffer-Watenphul und Babs Englaender, so geraten wir just mit dieser letzeren beinahe in Gefilde, in denen sich der Douanier Rousseau weiland wohlfühlte und wo sich neuerlich, biedermeierlich-romantisch-naiv, das Ehepaar Stefula verlustiert. Einen entschiedenen Schritt weiter in die Bereiche des Traums und der Phantastik gehen Karl Crodel und Rolf Nesch.

So weit also reicht die Kraft der gegenständlichen Malerei unserer Tage und ihr neu erobertes "Weltbild" - von der verzweifelt-dinghaften Bildmelancholie Karl Hofers, von der "aktuellen" Sachlichkeit eines Bildes wie des "Wartesaals" von W. R. Huth, über die flächigen Kompositionen in den Landschaften Karl Kluths, bis zu den Märchenträumen der kindlichen Frau Stefula. Sie alle geben jenem Wort seine Wahrheit wieder, das uns von Cézanne überliefert ist: "Die Natur ist nicht an der Oberfläche, sie ist in der Tiefe." ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------epl.


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