Gleich zwei neue Ausstellungen gibt es jetzt im Wiesbadener Museum. Die Gemäldegalerie selbst zeigt Blätter aus ihren graphischen Beständen, und der Nassauische Kunstverein Werke der "Freien Gruppe Hofheim-Frankfurt". Um bei dieser zu bleiben: sie ist von der vori- gen Ausstellung her noch in guter Erinne- rung, mit den farbigen Licht-Spielen da- mals, überhaupt experimentellen Objek- ten, aber auch konventionellen Bildern und Plastiken. Und man staunt, daß das schon vor sechs Jahren war, so präsent ist das noch, bei so vielem anderen inzwi- schen. Aber auch die jetzige Ausstellung ist gleichermaßen frisch und lebendig. Des Rätsels Lösung: es handelt sich tatsäch- lich um eine "Freie Gruppe", die sich da um die Frankfurter Galeristin Hanna Bekker vom Rath bildete. Frei in dem Sinne, daß die Mitglieder nicht auf eine einheitliche Stilrichtung verpflichtet sind, und insbesondere darin, daß die Gruppe immer neue interessante Gäste hinzuzieht, also von Inzucht jeder Art verschont bleibt. Zu ihrem zehnjährigen Jubiläum gastiert sie nun abermals in Wiesbaden, mit bekannten Gesichtern, und mit neuen. Das Stichwort ihrer diesmaligen Gegen- wärtigkeit heißt: Material. Gleich im Oktogon führt Eugen Mahler, hauptbe- ruflich Arzt, eine Sammlung davon vor, ein großes doppelseitiges Triptychon aus zivilisatorischem Kleingerümpel in der Mitten (alte Turnschuhe, Spielzeug, Flaschenkorken etc.) sowie rechts und links ,natürlichen Müll", wie Nußschalen, Gräser, Holz. Ein Hauch von Beuys also, und die geistliche Form provozierend pro- faniert; aber in der Anordnung, bis ins kleinste Detail, ausgesprochen schön. Wo- mit Kunst ja auch zu tun hat. Im Prin- zip nicht anders, nur mit großflächig dra- pierter feiner Stahlwolle, die wie Filz aus- sieht, arbeitet Dieter Gutt, wobei ihm schön geschwungene Formen und dezente farbliche Effekte gelingen, auch eine glänzende serielle Montage aus Messing- Teilen.
In jeder Weise, auch im Künstlerischen, fallen die Figuren des Frankfurters Wer- ner Arndt auf. Sie basieren auf dem neu- en plastischen Realismus, wie ihn etwa Duane Hanson auf der documenta zeigte, aber eine Kasseler Gruppe auch schon in Wiesbaden. Nur führt Arndt diese ,echten" Plastiken wieder in die früheren forma- len und geistigen Vorstellungen zurück; läßt sie nicht einfach für sich sprechen, sondern deformiert sie zu Bildern der Zerstörung. Eine weibliche Figur, ohne Kopf, sitzt vor einem halb
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Museum
Spektrum der Gegenwart
Freie Gruppe Hofheim und eigene Graphik
Aussage: von der Scheinhaftigkeit des lntakten.
Sehr viel spielerischer geht es dann bei Heinz Diekmann zu, wenn auch seine Wollsäulen ("kombinierte Textiltechnik) Stelen heißen; nur leider stehen diese ori- ginellen Gebilde ziemlich unglücklich in der eingerüsteten Ecke, die Wirkung aus der Anordnung fehlt. In den Raum geht auch Dieter Mulch, freilich innerhalb eines plastischen Bildes. Er zeichnet auf Papierreliefs in Rahmenkästen und nennt diese Pyramidenstümpfe. Das wirkt vor allem durch die saubere Akkuratesse, Grau auf Weiß, und durch raffinierte Spiele mit der Tiefe, bei einer winzigen Schießscharte oder einer Kugelspur, mit richtigen Ein- schüssen ins Plastische, und daneben nur Schatten. Unter den ,normalen" Bildern ist die Israel-Reihe von Hermann Haindl sehr bemerkenswert, alttestamentarische Reminiszenzen verbinden sich hier mit surrealistischer Magie, mit wallenden Ge- wändern und bombastischen Faltenwür- fen, alles in Weiß und Sepia; und rätsel- haft banale Texte in altertümelnder Schrift amchen gleich wieder einen Strich durch die schöne Rechnung.
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Durchblicke
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Geradezu gelassen, so kommt es einem vor, sieht der ,Kern" der Gruppe zu, wie die Gäste ihm die Schau nehmen. Seine Stunde kommt mit der näheren Betrach- tung. Johannes Schreiter, der Meister des Glasfensters, zeigt eine Reihe von Sieb- drucken, die das Motiv des Durchblicks variieren. Karl Degener konfrontiert mit jenen Apparaturen, die den heutigen Menschen in vielfacher Weise bedrängen, ebenso wie Ursula Dittmann, der diese Technik zu bedrohlichen Symbolfiguren gerinnt. Thomas Bayrle und Bernhard Jäger, mit ihren Multiplikationen bzw. Blicken in das Innere des Menschen sind freilich hinreichend bekannt, hier ist Neues auch kaum hinzugekommen. Aber von Georg Dickenberger gibt es, inmitten schwarz-weißer Landschaften, ein ganz reizvolles kleines Acryl-Bild "Kosmisch", regelrechtes abstraktes Rokoko; von Astrid Lincke-Zukunft jene klinische Kühle wie bei der Gruppe Zebra, nur noch eine Spur kritischer, und zum guten Schluß von Friedel Schulz-Dehnhardt eine Serie blühender Landschaften, hinter
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Plexiglas, hart am Kitsch vorbei, aber herzlich erfrischend. Ein interessanter Ausschnitt aus dem Spektrum der Gegen- wartskunst? Ganz sicher. Damit zur Ausstellung ,nebenan". Wer könnte sichs verkneifen, da den Kerr"- schen Spruch von seiner Tante zu variie- ren: wenn dem Museum nichts mehr ein- fällt, dann fällt ihm seine Graphik ein. Für diesmal aber wäre das gewiß unge- recht: gerade ist es von einer Hand in die andere gegangen, ein geradezu idealer Zeitpunkt, einmal zu zeigen, was vorher gesammelt werden konnte, was fehlt und wo man weitermachen muß. Wobei gerade für ein Museum wie Wiesbaden die Gra- phik die einizige reelle Chance bietet, die neue Kunst auf halbwegs breitem Raum zu präsentieren. Was nun in Wiesbaden gesammelt wurde, das darf sich in jeder Weise sehen lassen, nicht allein, was die Künstler betrifft, sondern auch die Quali- tät der einzelnen Blätter. Es ist, als habe eine Galerie von vielen hervorragenden Ausstellungen jeweils ein besonders gutes Werk dabehalten können. Das reicht in dieser Ausstellung vom Expressionismus bis zur Gegenwart. Diese Folge, vorwie- gend deutsche Künstler, ist wie ein aufge- schlagenes Lehrbuch. Nur leider wird sie in diesem Sinne nicht genutzt. Mit den entsprechenden Erläuterungen versehen, könnte sie Begriffe klären, Verbindungs- linien aufzeigen; allenfalls, daß hier Füh- rungen einspringen. Wo anfangen? Zeitlich gesehen, ver- läuft sie in den extra-Räumen von hinten nach vorn. Im älteren Teil gibt es vor allem eine Reihe hervorragender Selbst- bildnisse. die allemal nicht nur zur darge- stellten Person, sondern auch zur Zeit etwas aussagen. Von 1920 ein unsagbar fragendes von Otto Ritschl. Andere sind von Kokoschka, Barlach, Beckmann und Käte Kollwitz, mit einem wunderbaren, prüfend durch den Betrachter hindurchge- henden Blick. Dann gibt es zwei Köpfe von Jawlensky (an dessen gemaltes Selbst- bildnis auch einmal wieder erinnert wer- den darf, es ist bekanntlich ausgestellt). Aber hier: ein leidvoll geneigtes Gesicht, und daneben eine jener verschlossenen, starren und doch so sprechenden ,Mas- ken" aus wenigen Strichen. Und weiter: Kandinsky, Klee, ja zweimal zwei Fauns- köpfe von Picasso persönlich, Heckel auch, Schmidt-Rottluff, und z. B. einen Farb- holzschnitt Nays von 1952, mit einer er- staunlichen Gegenwärtigkeit der expres- sionistischen Formen, dem besonderen "Look" eines expressionistischen Vierecks, nur gedacht, nicht gemacht. Zu solchen "Entdeckungen" ist hier Material genug vorhanden. Mittlerweile sind wir auch schon nach dem 2. Weltkrieg (die große Lücke wird einem jedesmal bewußt), bei der Quadriga-Gruppe, den deutschen Ta- chisten, und in der Gegenwart, ob sie nun Trökes, Antes, Gaul, Hajek, Berges oder Genkinger, Böttger, Wolf Vostell, Otmar Alt heißt. Eine sehenswerte Sammlung, und eine lehrreiche! us
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