VORWORT
ÜBER EINEN VIELSEITIGEN KÜNSTLER
I. ANNÄHERUNG AN WERNER ARNDT
II. VOM MALER ZUM BILDHAUER
III. BILDHAUER-MALER-GRAFIKER
IV. BILDWELT-BILDRAUM
INNERE GEFANGENSCHAFT VON E.HERHAUS
VORWORT
Der 1918 in Stralsund geborene (und 1990 verstorbene)¹ Bildhauer, Objektemacher, Maler und Graphiker Werner Arndt gehörte zu den Künstlern, die mit einem sensiblen Gespür für die innere Problematik unserer Zeit erfindungsreich nach Formen suchen, die dieser Problematik künstlerischen Ausdruck verleihen. Beeindruckend, wie er etwa verkohlte Balken zu monumentalen Kompositionen zusammenfügt und dabei die für den Menschen so charakteristische und spannungsvolle, ja dramatische Ambivalenz von Schöpferischem und Zerstörerischem symbolhaft verdeutlicht. Eine wichtige Werkgruppe in seinem plastischen Oeuvre bilden die "Cager". ähnlich wie Bernhard Schultze den Begriff "Migof" für seine hintergründigen, realistisch-phantastischen Figuren und Ensembles erfand, so prägte Arndt für seine Flgurationen den Begriff "Cager; abgeleitet vom englischen cage - Käfig, einsperren. Mit den Menschen im Käfig will er damit weniger das physische Eingesperrtsein hinter Gefängnisgittern als vielmehr die innere, geistige Befangenheit, die "innere Gefangenschaft" darstellen.
Es ist bemerkenswert, dass einer der bedeutendsten Maler der Gegenwart, Francis Bacon, in seinen Bildern von ganz ähnlichen Vorstellungen ausging. Menschen, Szenen sind oft von einem seltsamen Gitterwerk umgeben, eingegrenzt, gefangen in zuweilen unheimlicher Weise in ihren Trieben, Leidenschaften, in ihrem Schicksal. Im Prinzip vergleichbare Metaphern finden wir auch bei Werner Arndt.
Frankfurt und das abgelegene Atelier in Selters/Eisenbach sind die Orte, wo Arndt am liebsten in Zurückgezogenheit arbeitete.
Auszug aus dem "Vorwort" zum Katalog "Werner Arndt" zur Ausstellung in Regensburg 1982 von Werner Timm
¹) redaktionell ergänzt
VERSUCH ÜBER EINEN VIELSEITIGEN KÜNSTLER von Rupert Schreiner
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I. Annäherung an Werner Arndt
Nach Jahren der Zurückhaltung beteiligte sich Werner Arndt 1980 erstmals wieder an einer Ausstellung der Künstlergilde. Er schickte drei große Bilder in die Ostdeutsche Galerie nach Regensburg für die Jahresausstel- lung "Menschen im Raum", die "Sitzende im geschwungenen Armstuhl (Mongolchen)"
, die "Liegende auf gestreiftem Sofa" und den "Sitzenden, Kopf in den Händen" . Diese Bilder hoben sich mit wenigen anderen deutlich von den übrigen Beiträgen ab, die sich vorrangig in konventioneller Sicht mit dem Begriff "Raum" auseinandersetzten.
Mit großer Spannung zeigen Arndts Bilder inhaltlich und kompositorisch ein vielschichtiges Verhältnis zwischen einzelnen Gestalten und dem sie umgebenden Raum.
Eine ungewöhnliche Perspektive führt den Blick von erhöhtem Standpunkt in kahle Zimmer, die sich jäh ver-kürzen. Der Hintergrund ist jeweils eine Wand mit geschlossener Tür. Sitzend oder liegend werden Menschen in diesen ungemütlichen Innenräumen vorgeführt, in denen sie auch noch in gleichsam imaginären Gefängnissen eingesperrt sind. Diese Gebilde ähneln offenen Käfigen, die sich aber jeder stereometrischen Definition entziehen. Diese Käfige in den zellenartigen Räumen sind nicht real sondern psychisch zu verstehen. Es sind Gefängnisse der Seele, die der Mensch in sich trägt. Die Ambivalenz der Darstellungen, die ineinander verwoben physischen und psychischen Raum zeigten, sorgte für die beeindruckende Wirkung. An ihnen wurde deutlich, daß menschliche Existenz sich nicht wirklich frei und ungehindert entfalten kann, daß ihr nur ein durch subjektive und objektive Zwänge bestimmter "Raum" zur Verfügung steht.
Noch im selben Jahr vermittelte Werner Arndt der Ostdeutschen Galerie aus Privatbesitz die Dauerleihgabe seines
"Ecce Homo"
aus dem Jahr 1968. Verblüffend ist die Andersartigkeit dieses kompliziert collagierten und teilzerstörten Materialkunstwerkes. In den ungewöhnlichen technischen Merkmalen und in der tatsächlichen "Verstrickung" des Werkes lagen aber auch wieder Verwandtschaften zu den gesehenen Bildern, die eine fremdartige, nur teilweise malerische Technik aufwiesen.
1981 beteiligte sich Werner Arndt an weiteren Ausstellungen der Künstlergilde. Zur Regensburger Jahresaus-stellung "Stilleben heute" schickte er Polyester-Reliefs und Assemblagen. Trotz der großen Spielbreite dessen, was heute in der bildenden Kunst zu diesem Thema gesagt werden kann, von der traditionellen Form bis zum Grenzbereich realistischer Darstellung, war sein Beitrag einer der originellsten.
Ulrich Kelber bescheinigte seinen Arbeiten die besondere provozierende" Aussage innerhalb dieser Ausstellung (Neue Passauer Zeitung, 10.6.81).
Seine Objekte
"Nostalgie-Stilleben"
und
"Stilleben-Persiflage"
erfaßten in höchstem Maße das heute" im Motto der Ausstellung, zeigten die ganze Fragwürdigkeit klassischer Themen in unserer Zeit.
Zur Esslinger Ausstellung "Künstler porträtieren Künstler" reichte er das Diptychon
"Ernst Herhaus"
ein. Auch damit führte er eine verblüffende Möglichkeit vor, wie das Problem des Porträts heute aufgefaßt werden kann, wie konventioneller Realismus wiederbelebt werden kann. Die Kombination von manieristischer Direktheit in der Zeichnung mit Käfigelementen und dem Mittel der ldentitätsstörung durch Auswischungen werden der Person des ehemaligen Alkoholikers, des Schriftstellers und langjährigen Sprachrohrs der Anonymen Alkoholiker in
hohem Maße gerecht.
Dennoch bringt erst diese Werkschau den eigentlichen Kern der Arbeiten von Werner Arndt nach Regensburg, seine sogenannten "Cager". Nur in zwei Ausstellungen wurden sie bisher als Werksgruppe öffentlich vorgestellt.
Im allgemeinen lebt Arndt mit und unter seinen Werken im Metier im Steinbruch. Diese figuralen Objekte erzeugen dort durch ihre Massierung eine bedrängende Stimmung, überwältigen den Besucher durch ihre pessimistische Grundhaltung.
Das Schriftstück "INNERE GEFANGENSCHAFT"
von Ernst Herhaus legt davon anschaulich Zeugnis ab.
In einfachen Rahmen sieht man realistische Abformungen menschlicher Wesen eingeschlossen. Eine unnatürliche Farbgebung relativiert die Wirkung, aber die Tatsache, daß man nur hohle Fragmente findet, schafft Unbehagen. Die Gliedmaßen und die Köpfe zeigen Angespanntheit und Qual.
Obwohl die Rahmen der Cager" keine wirklichen Käfige sind, ja sogar offen erscheinen, ist es den Restexistenzen, die von den Rahmen umschlossen werden, nicht möglich, sich selbst von ihrer Beengung, von ihrem Leid zu befreien, wie es dem eigenen ich normalerweise nicht möglich ist, psychische Störungen vollständig abzubauen, so ist es den Wesen in den "Cagern" nicht möglich, sich selbst zu befreien.
Der "Aussteiger"
, eines der jüngsten Objekte, zerbricht gleichsam bei dem Versuch, sein Gerüst zu verlassen, das ihn letztendlich auch stützt.
II. Vom Maler zum Bildhauer
Werner Arndt hatte als Künstler einen unglücklichen Start. Er studierte zwischen 1939 und 1943, als die nationalsozialistische Doktrin das Wesen der "deutschen Kunst" bestimmte. So schrieb Dr. Ulrich Schmidt vom Wiesbadener Museum über ihn: "...erst als er sich in Eisenbach im Taunus niederließ begann eine, die eigene künstlerische Entwicklung mitbestimmende, ergebnisreiche Auseinandersetzung mit den fortgeschrittenen Tendenzen neuerer europäischer Kunst. Als 27jähriger erst konnte er den Austausch und die Kontakte frei suchen, finden, wählen und verarbeiten. Cezanne und Leger waren die bewunderten Vorbilder. Besonders aber an Beckmann und den deutschen Spätexpressionismus, dem der norddeutsche Arndt nahestand, lehnte er sich an und versuchte, von hier aus einen persönlichen Weg zu gehen, auf dem er die vorgefundenen älteren Formerfindungen in seinem Sinn weiterentwickeln wollte."
Werner Arndt ist also vom Grunde her Maler und, was von besonderer Wichtigkeit ist, sein Selbstverständnis als Künstler ist durch den Realismus geprägt. Diese Einstellung wurde aber für ihn zum existentiellen Problem. Schmidt schrieb dazu; "Zu einer für Werner Arndt ungünstigen Zeit, 1953, als die gegenstandslose Kunst aufbrach und dem Höhepunkt ihrer Anerkennung zustrebte, zeigte er in einer Ausstellung sein bis dahin entstandenes Oeuvre. Aus eben dieser Situation der Zeit wird es verständlich, daß er erbitterte Gegner wie auch rückhaltlose Bewunderer fand, die in seinem Schaffen ein "großes Versprechen" sahen und ihn als eines der "wichtigsten Nachwuchstalente überhaupt" bezeichneten, das eine in den zwanziger Jahren geschaffene Kunstform weiterführen, die Tradition gegenständlicher Malerei aufrechterhalten sollte. Andere aber warfen ihm heftig eindeutiges Epigonentum vor, Rückgriffe auf Beckmann vor allem.
Arndt war zwischen die beiden Lager der Traditionalisten und Avantgardisten geraten!. Für eine vorurteilsfreie Betrachtung seines eigenen Talentes, das ihn z. B. zu neuen Farbwerten von zuweilen emailleartigem Charakter befähigte, blieb kein Raum mehr.
Dieser schweren Belastung gleich starker Zustimmung wie Angriffslust der Kritik war Werner Arndt nicht gewachsen. Verwirrt zog er sich zurück, um unberührt vom Streit der Meinungen arbeiten zu können und einen völlig eigenen Ausdruck zu formulieren, den er, schließlich auch nach eigenem Gefühl, nicht gefunden zu haben glaubte."
In der "Selbstverbannung" der sechziger Jahre entwickelte Werner Arndt einen neuen Stil. Dem Zeitgeschmack wenigstens teilweise Tribut zollend entwickelte er ungegenständliche Kompositionen aus Fundstücken, aus Strandgut. In dieser "maritimen Phase" blieb er dennoch ein dem Gegenstand verpflichteter Künstler, wenn er auch die Objekte nicht mehr darstellte, sondern sie direkt in die Werke einbezog.
Die Produktivität jener Zeit war sehr unterschiedlich. Zum Rückzug gehörte auch, daß er sich vermehrt seinem Hobby, dem Bogenschießen,zuwandte. Unter anderem nahm er an Weltmeisterschaften teil und trainierte zeitweise die deutsche Damenmannschaft.
Aber nicht nur der Gegenstand selbst, auch das Abbild" eines Gegenstandes in seinen vielfältigen Möglichkeiten reizte ihn, als er mit neuen Werkstoffen, vor allem Epoxydharz experimentierte. In einem besonders kennzeichnenden Werk dieser Zeit kombiniert er mehrere Variationen der Wiedergabe. Ein Balkenstück aus dem Strandgut wird zusammen mit seinem gemalten Ebenbild
in Öl, dem eigenen Abdruck und einem positiven Abguß des Abdrucks in ein Bild versetzt. Die damals entwickelte Abgußtechnik, mit der auch im
"Ecce Homo"
operiert wird, führt relativ geradlinig zu den Abgußteilen der figuralen Objekte in den siebziger Jahren. Gewandelt haben sich die Technik - vom Epoxydharz zur Gipsabformung mit Polyesternachguß - und die Inhalte - vom leblosen Gegenstand zurück zum Hauptmotiv aller Kunst, zum Menschen.
Abgüsse von Menschen sind nicht grundsätzlich neu. Die Tradition fußt auf der Wiedergabe von Gliedmaßen als Votivgaben einerseits und von Abformungen in Gips, den bekannten Lebend- und Totenmasken, aber auch den Abgüssen von Händen berühmter Persönlichkeiten andererseits. Die konsequente Verwendung von Körperabgüssen setzt dann etwa bei Antoni Gaudi ein, der für den Skulpturenschmuck seiner Sagrada Familia in Barcelona Abgüsse als Studien verwendete.
Der Abguß als eigentliches Bestandteil von Kunstwerken beginnt aber erst mit der Kunst nach dem zweiten Weltkrieg. Vor allem die amerikanischen Realisten wenden sich dem Abguß zu.
In den sechziger Jahren entwickelt George Segal seine Figurentechnik mit Gipsbandagen, die aber im Endsta-dium die Wickeltechnik und die Farbe des Gipses bestehen läßt. Edward Kienholz verwendet in dieser Zeit ausgearbeitete Teil- oder Ganzabgüsse für seine großen kritischen Installationen. Hyperrealisten wie Duane Hanson und John de Andrea führen die Abgußtechnik mit Glasfiber und bemaltem Polyester in den siebziger Jahren schließlich zu einer verblüffenden Perfektion, die weit über die Wirkung von Wachsfiguren hinausgeht, die aber auch dem Betrachter die Hilfestellung durch die künstlerische Interpretation entzieht.
Die Einbeziehung von Teilabgüssen, insbesonders von Händen, in Bildern von Jasper Johns in der Zeit um 1970 kommt den Intentionen von Werner Arndt wohl am nächsten. Entsprechend findet man das Kastengerüst in der Plastik z.B. schon bei Giacometti oder in der Malerei in schwer entschlüsselbarer Form bei Francis Bacon. So reiht sich das jüngste Werk von Arndt durchaus in die Tradition der neueren Kunst. Es handelt sich aber dennoch um keine Wiederholung vorgegebener Muster. Arndt hat aus Motiven, die bei berühmten zeitgenössischen Künstlern nachzuweisen sind, ein eigenständiges Kunstkonzept geschaffen, das in Teilen eher der latenten Zeitproblematik als einem konkreten Vorbild entsprungen ist: Die Montage von Körperabformungen aus bemaltem Polyester, die als unvollständige Wiedergabe des Menschen in imaginäre Käfige gesperrt sind, die "Cager". Die Bezeichnung entstand in Ableitung vom englischen "cage", das mit Käfig, Gefängnis und Kerker, aber auch mit den weniger belasteten Begriffen Kabine oder Gerüst übersetzt werden kann So ist die äußere Begrenzung des Cagers nicht nur als Käfig, sondern unter Umständen auch als notwendiges hilfreiches Gerüst zu begreifen.
In Kenntnis der aktuellen realistischen Bildhauerei entsteht 1972 die erste Abformung, das "Mädchen im Fledermausstuhl"
. Wie beim "Michael" von 1973 steht hier noch die Idee der Ganzfigur im Hintergrund, wenn auch die Hohlheit des Objekts offengelegt wird. Bis 1975 entstehen Arbeiten, meist Reliefs, die Materialabgüsse und Körperteile kombinieren.
Die innere Leere, das Fragmentarische tritt mehr in den Vordergrund
("Mutter und Kind")
und die Überlegungen zum Wechselspiel zwischen Innen und Außen führen zu Montagen mit Negativabgußteilen. Durch ein Abgießen des Abgusses wird die Struktur der Haut, die sich bei der Gipsbandage innen negativ abbildet, in das Innere des hohlen Körperteils verlegt - so entsteht ein Hohlrücken.
Das Jahr 1975, das insgesamt sehr produktiv war, sieht dann die Entwicklung des "Cagers".
Die Körperabgußteile werden in einem offenen Käfig montiert, der selbst ein Gußprodukt ist.
Die Technik ist insgesamt bei Herhaus nach Angaben von Werner Arndt ausführlich beschrieben. Interessanterweise spielt der Kopf und das oft zur leidverzerrten Maske deformierte menschliche Gesicht nur in den ersten beiden Jahren eine größere Rolle. In den letzten Jahren werden vorrangig Rücken, Beine und Hände verwendet und der Ausdruck in die Gebärde verlegt. Besonders die Hände spielen eine große Rolle und zeigen dem Betrachter meist die Relation der Cager-Figur zu ihrem Käfig. Häufig deuten sie auch die Suche nach einer Stütze, nach Sicherheit an. Schließlich zeigt der "Gestürzte"
jene verzweifelte Situation, den Halt verloren
zu haben, ohne den Zwängen entronnen zu sein.
So symbolsieren die "Cager" von Werner Arndt Grundsätzliches der menschlichen Existenz in unseren Tagen. Das Fragmentarische und Bruchstückhafte, die Zerrissenheit und Hohlheit, die bedrückende Enge und die Suche nach Halt, all das wird zu Sinnbildern unseres Lebens.
Die "Cager" sind Projektionen unserer psychischen Existenz.
III. Bildhauer - Maler - Grafiker
Während der Zeit der Materialbilder und der Entwicklung der figuralen Objekte zum "Cager" war
die Malerei fast vollständig zurück gedrängt worden. Bemalte Leinwandfragmente in den Materialbildern erinnern gerade noch an sie. Mit den figuralen Objekten zeichnete Werner Arndt wieder mehr und führte gelegentlich diese meist in Mischtechnik angelegten großformatigen Arbeiten soweit aus, daß eigentlich der Begriff "Zeichnung" nur noch bedingt gilt. Häufig wiederholte er die Thematik der gerade entstandenen Objekte oder kombinierte mehrere Arbeiten
( "Cager-Silo", "Zwei Cager"). Daneben bekommt das "Selbstbildnis" , das in der Darstellung den Cager-Motiven angenähert wird, eine große Wichtigkeit. wahrscheinlich durch den Selbstbildniscager von 1976 angeregt. Die Variationen des Selbstbildnisses nehmen auch das Motiv des
"Namenlosen" auf, des verzweifelten Schreis der Einsamen.
Auf der Suche nach verstärkter Bildwirkung arbeitete Werner Arndt immer häufiger mit der Weißhöhung. Dies ist auch in den ersten Arbeiten zu erkennen, die 1977 wieder den Übergang zu Bildern charakterisieren, die nicht mehr nur als Zeichnungen verstanden sein sollten.
Zu seiner stark graphisch empfundenen Malweise konnte er aber diese herkömmliche Art noch nicht als befriedigend empfinden.
In diese Zeit des Experimentierens fällt auch die Entwicklung der sogenannten
"Reißgraphik"
.
Ein Blatt bereits bedruckter Graphik wird unter Ausnutzung der Papierspannungen trocken geprägt, bis an den experimentell ermittelten, zur Darstellung passenden Stellen das Papier reißt. Die Risse fallen innerhalb einer Auflage mit gleichem Papier nahezu identisch aus. Diese Mischung aus Graphik und Relief bezieht ihren besonderen Reiz aus der Kombination von Cager-Motiven und dem darin liegenden Prinzip des durch Zerstörung Fragmentierten.
Nur
1977 und 1978 entstehen solche Reißgraphiken. Wegen der umständlichen Herstellung des Prägestocks setzt Werner Arndt diese extreme Technik nicht fort.
Im Jahre 1978 aber entdeckte er eine Möglichkeit, die intendierten "Höhungen" der Bilder auf neue Art zu erreichen. Auf Holztafeln aufgezogenes Papier wird so behandelt, daß eine Grundzeichnung aufgetragen wird, die farbabstoßend ist. Darüber wird dann deckend und lasierend gearbeitet. Das Material der Grundzeichnung kann nachträglich wieder entfernt werden, und das reine Papierweiß tritt als brillante Zeichnung hervor. Darüber kann weiter gearbeitet werden.
Die Verwendung von Tusche in diesen Bildern setzt eine Technik voraus, die
Ähnlichkeiten mit der Herstellung einer Radierung hat. Die Substanz, mit der die Grundzeichnung aufgetragen wurde. kann auch flächig verwendet werden. Ritzt man sie so an, daß der Bildträger freigelegt wird, kann dort die aufgetragene Tusche haften, während sie ansonsten abgestoßen wird. Nach Entfernung der farbabstoßenden Schicht von der Fläche bleibt die "radierte Zeichnung" zurück. Es kann auch Farbe an Stelle der Tusche verwendet werden.
Bei der Arbeit mit dieser Technik entsteht ein Strich, wie er mit herkömmlichen Mitteln in der Zeichnung bzw. Malerei nicht erreicht werden kann. Auch die "Ausstreichungen", die mit den "Kopfvariationen" von 1979 einsetzen, können in dieser Technik verblüffend gesteuert werden.
Mit der Verfeinerung dieser Technik, die eine feste Montage des Papiers auf einem stabilen Träger erfordert, hören die "Handzeichnungen" auf. Da aber vielfach ein fast blindes Arbeiten erforderlich ist, entstehen von da an zahlreiche Skizzen, die den Bildern vorausgehen.
Sie
entsprechen meist dem gewohnten Begriff der "Zeichnung".
Gerade wegen der Ähnlichkeit der neuen "Mal"-Technik zur Radierkunst experimentierte Arndt auch mit Druckplatten. Die ersten Arbeiten entstehen 1980. In Anlehnung an seine Bilder nutzt er die Abplatztechnik der Zuckerreservage zur Erzeugung des kontinuierlichen Strichs.
Tiefe Ätzungen bei den Strichplatten erzeugen schließlich bei den Drucken eine reliefähnliche Oberfläche. Die Farbdrucke entstehen meist als Eisen-Aquatinten, wobei das besondere Ätzverhalten zu Oberflächenstrukturen ähnlich der klassischen Aquatinte auf Kupfer führt.
Bei
geschickter Einfärbung der Tonplatten kann die starke Reliefierung so genutzt werden, daß sie sowohl in Hochdruck als auch in Tiefdruck Farbe an das Papier abgeben. In der freien Kombination von Kupfer, Zink und Eisen und den vielfältigen Farbvariationen von einem Farbsatz lassen sich erstaunliche und abwechslungsreiche Wirkungen erzielen.
Die zahlreichen verschiedenen Techniken, die Werner Arndt oft selbst entwickelt hat, haben einen gemeinsamen Nenner, die Liebe Arndts zur handwerklichen Betätigung. Die vermeintlichen technischen Spielereien entspringen der Lust am Umgang mit Materialien.
So verbinden sich vor allem in den Zeichnungen und Bildern sichtbar spontane Handschrift und Freude an der Arbeit. Nicht zuletzt dies gibt den Werken Arndts eine überzeugende Großzügigkeit, die aus der Beherrschung der Mittel entspringt.
IV. Bildwelt - Bildraum
Anläßlich einer Ausstellung sagte Werner Arndt 1979 über seine Arbeit: "Das zentrale Thema meiner gegen-wärtigen Arbeit ist der Mensch, seine inneren und äußeren Zwänge, jene "innere Gefangenschaft" - wie sie Ernst Herhaus nannte. Wir alle bewegen uns in einem von der Natur und unseren Lebensumständen vorgegebenen engen Käfig, der keine Wände hat und den wir trotzdem nicht verlassen können - der Volksmund sagt: "Man kann nicht aus der Haut". - Daß gerade der alternde Mensch diesem inneren Verlassensein und der damit verbundenen Zerstörung seines Ichs besonders ausgesetzt ist, liegt in der Natur der Dinge."
Diese eindeutige Hinwendung zur Darstellung des Menschen macht verständlich, daß aller Raum, der in den Bildern die Gestalten umgibt, sich letztlich wieder auf diese bezieht, keinen Eigenwert hat.
Die kahlen Zimmer korrespondieren als äußere Umgrenzung mit der psychischen Einengung. In Arbeiten von 1977 kann auch die Stadt als der einengende Lebensraum
verstanden werden. Die Beziehung zwischen physischer und psychischer Einschränkung und ihre gegenseitige Wechselwirkung wird im
"Rollstuhl"
besonders deutlich.
In einzelnen Bildern
wird auch unentrinnbarer psychischer Zwang motivisch vorgetragen, wenn das Sucht-Thema auftritt: "Die Trinkerin",
"Die Party (Rauschgiftparty)"
.
Die Zeichnungen und die ersten neuen Bilder orientieren sich noch deutlich an den "Cagern"
und die Käfige sind in den Darstellungen noch wenig deformiert. Die starken Perspektiven und
ungewöhnlichen Blickpunkte rufen Erinnerungen an frühe Ölbilder aus den fünfziger Jahren hervor. Mit der neuen "Absprengtechnik" ändert sich teilweise der Stil. Das Käfig-Grundmotiv
wird weitergeführt, verselbständigt sich aber weitgehend von den "Cagern". Der deformierte
Käfig verliert seine konkrete räumliche Nachvollziehbarkeit, entspricht dem schwer begreifbaren
Käfig der Seele, den wir fühlen aber nicht begreifen.
In den jüngsten Arbeiten tauchen sogenannte "Auswischungen" auf. Es handelt sich allerdings
nicht um nachträgliche Übermalung vorgegebener Bilder im Sinne von Arnulf Rainer, sondern
um kalkulierte Störung des Bildes. Zur Grundthematik der Zwänge kommt nun noch das Prinzip
der Zerstörung, der Metapher des direkten Eingriffs in die Persönlichkeit. Es erfüllt weitgehend
jene Funktion, die bei den Cagern vom Fragmentarischen, Unvollständigen, von der kaputten
Oberfläche getragen wurde. Die Störung wird in den Bildern vehementer vorgetragen, unterstützt
von der kräftigen Handschrift. Diese Ausstreichungen zerstören im eigentlichen Sinn die
Integrität der Person, zerlegen die Gestalten bis ihre verschobenen Körperteile nicht mehr
zusammenpassen wollen. Bilder wie "Die Lachende nach Vangi"
werden zu Sinnbildern der
Schizophrenie. Diese Bilder der geistigen Gefangenschaft und psychischen Verletzung sind eine
bedrückende Spiegelung unseres zeitgenössischen Selbstverständnisses, erschreckend in ihrer
realen Größe und plakativen Aggressivität.
Selbst wenn Werner Arndt mit seinen erotischen Radierungen zur Kassette "Tal von Ota" gewissermaßen Lockerungsübungen macht, bleibt er seinem Themenkreis treu. Vordergründig
zeigt er lustvoll freie Darstellungen zu Motiven aus der Weltliteratur. Die Texte inspirieren ihn, ohne
daß er sie im engeren Sinn illustriert. Die Farbradierungen der Kassette verdeutlichen, wenn auch
dezent, die Bedeutung sexueller Lust, zeigen wenig von platonischer Liebe. Hier wird der nach
den lebenserhaltenen Motiven stärkste Trieb des gesunden Menschen angesprochen. Bedenkt
man aber, welche starken Kräfte dem Sexualtrieb entspringen, bedenkt man die Verirrungen
der Seele die durch ihn verursacht werden können, bedenkt man die zerstörerische und
kriminelle Gewalt, die fehlgeleiteter Sexualität gehorschen kann, bleibt die Grundthematik der
schicksalhaften Zwänge und Triebe, die den Menschen beherrschen, auch in diesem
Werkbereich erkennbar.
Werner Arndt, der realistische Bildhauer und Maler, zeigt letztlich etwas, das realistisch kaum begreifbar ist, unsere Seele. So schwer verständlich sie uns erscheint, so schwer sind auch
Arndts Bilder zu verstehen, obwohl sie uns vertraut erscheinen, obwohl wir uns in ihnen und
seinen "Cagern" wiederzuerkennen glauben. Oscar Wilde schrieb einmal: "Alles, was sie
(die Kunst) uns zeigt, ist unsere eigene Seele, die einzige Welt, von der wir überhaupt eine
wirkliche Kenntnis haben. Und die Seele selbst, die Seele von jedem einzelnen von uns, ist für
jeden von uns ein Geheimnis.
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III. Bildhauer - Maler - Grafiker
Während der Zeit der Materialbilder und der Entwicklung der figuralen Objekte zum "Cager" war die Malerei fast vollständig zurück gedrängt worden. Bemalte Leinwandfragmente in den Materialbildern erinnern gerade noch an sie. Mit den figuralen Objekten zeichnete Werner Arndt wieder mehr und führte gelegentlich diese meist in Mischtechnik angelegten großformatigen Arbeiten soweit aus, daß eigentlich der Begriff "Zeichnung" nur noch bedingt gilt. Häufig wiederholte er die Thematik der gerade entstandenen Objekte oder kombinierte mehrere Arbeiten ("Cager-Silo", "Zwei Cager"). Daneben bekommt das Selbstbildnis, das in der Darstellung den Cager-Motiven angenähert wird, eine große Wichtigkeit. wahrscheinlich durch den Selbstbildniscager von 1976 angeregt. Die Variationen des Selbstbildnisses nehmen auch das Motiv des "Namenlosen" auf, des verzweifelten Schreis der Einsamen.
Auf der Suche nach verstärkter Bildwirkung arbeitete Werner Arndt immer häufiger mit der Weißhöhung. Dies ist auch in den ersten Arbeiten zu erkennen, die 1977 wieder den Übergang zu Bildern charakterisieren, die nicht mehr nur als Zeichnungen verstanden sein sollten. Zu seiner stark graphisch empfundenen Malweise konnte er aber diese herkömmliche Art noch nicht als befriedigend empfinden.
In diese Zeit des Experimentierens fällt auch die Entwicklung der sogenannten "Reißgraphik". Ein Blatt bereits bedruckter Graphik wird unter Ausnutzung der Papierspannungen trocken geprägt, bis an den experimentell ermittelten, zur Darstellung passenden Stellen das Papier reißt. Die Risse fallen innerhalb einer Auflage mit gleichem Papier nahezu identisch aus. Diese Mischung aus Graphik und Relief bezieht ihren besonderen Reiz aus der Kombination von Cager-Motiven und dem darin liegenden Prinzip des durch Zerstörung Fragmentierten 1977 und 1978 entstehen solche Reißgraphiken. Wegen der umständlichen Herstellung des Prägestocks setzt Werner Arndt diese extreme Technik nicht fort.
Im Jahre 1978 aber entdeckte er eine Möglichkeit, die intendierten "Höhungen" der Bilder auf neue Art zu erreichen. Auf Holztafeln aufgezogenes Papier wird so behandelt, daß eine Grundzeichnung aufgetragen wird, die farbabstoßend ist. Darüber wird dann deckend und lasierend gearbeitet. Das Material der Grundzeichnung kann nachträglich wieder entfernt werden, und das reine Papierweiß tritt als brillante Zeichnung hervor. Darüber kann weiter gearbeitet werden. Die Verwendung von Tusche in diesen Bildern setzt eine Technik voraus, die Ähnlichkeiten mit der Herstellung einer Radierung hat. Die Substanz, mit der die Grundzeichnung aufgetragen wurde. kann auch flächig verwendet werden. Ritzt man sie so an, daß der Bildträger freigelegt wird, kann dort die aufgetragene Tusche haften, während sie ansonsten abgestoßen wird. Nach Entfernung der farbabstoßenden Schicht von der Fläche bleibt die "radierte Zeichnung" zurück. Es kann auch Farbe an Stelle der Tusche verwendet werden. Bei der Arbeit mit dieser Technik entsteht ein Strich, wie er mit herkömmlichen Mitteln in der Zeichnung bzw. Malerei nicht erreicht werden kann. Auch die "Ausstreichungen", die mit den "Kopfvariationen" von 1979 einsetzen, können in dieser Technik verblüffend gesteuert werden. Mit der Verfeinerung dieser Technik, die eine feste Montage des Papiers auf einem stabilen Träger erfordert, hören die "Handzeichnungen" auf. Da aber vielfach ein fast blindes Arbeiten erforderlich ist, entstehen von da an zahlreiche Skizzen, die den Bildern vorausgehen. Sie entsprechen meist dem gewohnten Begriff der "Zeichnung".
Gerade wegen der Ähnlichkeit der neuen "Mal"-Technik zur Radierkunst experimentierte Arndt auch mit Druckplatten. Die ersten Arbeiten entstehen 1980. In Anlehnung an seine Bilder nutzt er die Abplatztechnik der Zuckerreservage zur Erzeugung des kontinuierlichen Strichs. Tiefe Ätzungen bei den Strichplatten erzeugen schließlich bei den Drucken eine reliefähnliche Oberfläche. Die Farbdrucke entstehen meist als Eisen-Aquatinten, wobei das besondere Ätzverhalten zu Oberflächenstrukturen ähnlich der klassischen Aquatinte auf Kupfer führt. Bei geschickter Einfärbung der Tonplatten kann die starke Reliefierung so genutzt werden, daß sie sowohl in Hochdruck als auch in Tiefdruck Farbe an das Papier abgeben. In der freien Kombination von Kupfer, Zink und Eisen und den vielfältigen Farbvariationen von einem Farbsatz lassen sich erstaunliche und abwechslungsreiche Wirkungen erzielen.
Die zahlreichen verschiedenen Techniken, die Werner Arndt oft selbst entwickelt hat, haben einen gemeinsamen Nenner, die Liebe Arndts zur handwerklichen Betätigung. Die vermeintlichen technischen Spielereien entspringen der Lust am Umgang mit Materialien. So verbinden sich vor allem in den Zeichnungen und Bildern sichtbar spontane Handschrift und Freude an der Arbeit. Nicht zuletzt dies gibt den Werken Arndts eine überzeugende Großzügigkeit, die aus der Beherrschung der Mittel entspringt.
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IV. Bildwelt - Bildraum
Anläßlich einer Ausstellung sagte Werner Arndt 1979 über seine Arbeit: "Das zentrale Thema meiner gegenwärtigen Arbeit ist der Mensch, seine inneren und äußeren Zwänge, jene "innere Gefangenschaft" - wie sie Ernst Herhaus nannte. Wir alle bewegen uns in einem von der Natur und unseren Lebensumständen vorgegebenen engen Käfig, der keine Wände hat und den wir trotzdem nicht verlassen können - der Volksmund sagt: "Man kann nicht aus der Haut". - Daß gerade der alternde Mensch diesem inneren Verlassensein und der damit verbundenen Zerstörung seines Ichs besonders ausgesetzt ist, liegt in der Natur der Dinge." Diese eindeutige Hinwendung zur Darstellung des Menschen macht verständlich, daß aller Raum, der in den Bildern die Gestalten umgibt, sich letztlich wieder auf diese bezieht, keinen Eigenwert hat. Die kahlen Zimmer korrespondieren als äußere Umgrenzung mit der psychischen Einengung. In Arbeiten von 1977 kann auch die Stadt als der einengende Lebensraum verstanden werden. Die Beziehung zwischen physischer und psychischer Einschränkung und ihre gegenseitige Wechselwirkung wird im "Rollstuhl" besonders deutlich. In einzelnen Bildern wird auch unentrinnbarer psychischer Zwang motivisch vorgetragen, wenn das Sucht-Thema auftritt: "Die Trinkerin", "Die Party (Rauschgiftparty)".
Die Zeichnungen und die ersten neuen Bilder orientieren sich noch deutlich an den "Cagern" und die Käfige sind in den Darstellungen noch wenig deformiert. Die starken Perspektiven und ungewöhnlichen Blickpunkte rufen Erinnerungen an frühe Ölbilder aus den fünfziger Jahren hervor. Mit der neuen "Absprengtechnik" ändert sich teilweise der Stil. Das Käfig-Grundmotiv wird weitergeführt, verselbständigt sich aber weitgehend von den "Cagern". Der deformierte Käfig verliert seine konkrete räumliche Nachvollziehbarkeit, entspricht dem schwer begreifbaren Käfig der Seele, den wir fühlen aber nicht begreifen.
In den jüngsten Arbeiten tauchen sogenannte "Auswischungen" auf. Es handelt sich allerdings nicht um nachträgliche Übermalung vorgegebener Bilder im Sinne von Arnulf Rainer, sondern um kalkulierte Störung des Bildes. Zur Grundthematik der Zwänge kommt nun noch das Prinzip der Zerstörung, der Metapher des direkten Eingriffs in die Persönlichkeit. Es erfüllt weitgehend jene Funktion, die bei den Cagern vom Fragmentarischen, Unvollständigen, von der kaputten Oberfläche getragen wurde. Die Störung wird in den Bildern vehementer vorgetragen, unterstützt von der kräftigen Handschrift. Diese Ausstreichungen zerstören im eigentlichen Sinn die Integrität der Person, zerlegen die Gestalten bis ihre verschobenen Körperteile nicht mehr zusammenpassen wollen. Bilder wie "Die Lachende nach Vangi" werden zu Sinnbildern der Schizophrenie.
Diese Bilder der geistigen Gefangenschaft und psychischen Verletzung sind eine bedrückende Spiegelung unseres zeitgenössischen Selbstverständnisses, erschreckend in ihrer realen Größe und plakativen Aggressivität.
Werner Arndt, der realistische Bildhauer und Maler, zeigt letztlich etwas, das realistisch kaum begreifbar ist, unsere Seele. So schwer verständlich sie uns erscheint, so schwer sind auch Arndts Bilder zu verstehen, obwohl sie uns vertraut erscheinen, obwohl wir uns in ihnen und seinen "Cagern" wiederzuerkennen glauben. Oscar Wilde schrieb einmal: "Alles, was sie (die Kunst) uns zeigt, ist unsere eigene Seele, die einzige Welt, von der wir überhaupt eine wirkliche Kenntnis haben. Und die Seele selbst, die Seele von jedem einzelnen von uns, ist für jeden von uns ein Geheimnis.
(Die Zitate von Dr. Ulrich Schmidt sind mit seiner freundlichen Genehmigung einem
unveröffentlichten Aufsatz aus dem Jahre 1968 entnommen.)
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INNERE GEFANGENSCHAFT von Ernst Herhaus
"... Ich sah Plastiken, die mich mit meiner eigenen inneren Gefangenschaft vor und nach der letzten Flasche so radikal konfrontiert haben, daß ich davon schreiben möchte."
Im Herbst des Jahres 1969 transportierte Schneeflocke mich, einen Kranken mit Erfahrung in lebendigem Verstorbensein und mit reifenden Monotonien (Schweigen, Trinken und Schreiben), aus dem Tessin zurück in Richtung Frankfurt. Wir machten Station im schönen Chiemgau und besuchten dort Freunde: Usch und Fred Dahmen.
Wir kamen in Pittenhart an, betraten das Haus, gerieten in eine kleine Nachmittagsgesellschaft. Ein Mann trat in mein Blickfeld. "Werner Arndt", sagte der Mann. Ich behalf mir mit meinen soliden Floskeln.
Der Mann, hager und still, wirkte völlig isoliert in jenem Kreis und, jenseits jeder Höflichkeit oder Unhöflichkeit, so ernst wie ich selber. Er kam mir vor wie jener halbstumme Grieche, der sich den Mund mit Steinen gefüllt hatte, um Sprechen zu lernen. Ich, gewöhnlich fähig, eine Unterhaltung mit stoischer Rollenfasson über die Strecke zu bringen, zog mich von jenem Fremden innerlich zurück. Daß er sich mir mit einem Vor- und Nachnamen vorstellte wie jedermann, erschien mir nach einer Stunde bereits wie ein obszöner Akt. Die Unbeholfenheit dieses Menschen in Uschs cercle ließ in meiner Krankheit Packeis entstehen. Ich witterte in diesem Fremden inspiriertes Unglück, Begreifen des Unterschieds zwischen Unglück und Leiden. Schließlich sagte Werner Arndt zu mir, auch er sei, wie Fred, ein Maler. Diese Feststellung empfand ich als Ohrfeige mit der flachen Hand, als Ohrfeige nicht von Arndt, sondern als Ohrfeige einer Hälfte von mir, die neben mir herging und für jene Hälfte von mir, die bei mir war, fern und unkontrollierbar blieb. Ich nickte Arndt schweigend zu, zog mich nun von allen im Raum zurück und begann zu trinken. Ich hatte längere Zeit nicht getrunken, hatte gegen die Flasche gekämpft und wieder geschrieben. Als ich zu Usch sagte: "Hole mir eine Flasche" und Usch, um keinen Skandal zu riskieren, die erste Flasche Wein brachte, verließ Schneeflocke das Haus. Ich sah ihre Panik und trank noch fünf Flaschen Wein, dann eine Flasche Birnenschnaps. Ich blieb ruhig und sprach mit niemand dort mehr, betrachtete eine bestimmte Arbeit Freds, setzte mich dann, schon tief im Dimitrijzustand, in Uschs Küche und schrieb eine Notiz über jene Arbeit Freds. Als ich die Notiz beendete, kam Schneeflocke zurück und sagte mir, was ich im Dimitrijzustand gemacht hatte (Schweigen, Trinken und Schreiben). Wir übernachteten im Hause Uschs und Freds. Beim Frühstück mit ihnen sagte ich zu Fred:
"Wir sind alle schon gestorben, es werden nur wenige sein, bei denen diese Erfahrung zu ihren Lebzeiten eintrifft. Warum kannst du noch arbeiten? Es werden immer weniger werden, die ihre innere Gefangenschaft begreifen und die ihr Verstorbensein mit einem lebenswerten Tod abschließen können." Damit begann ich alles um mich herum zu vergessen.
In der Osterzeit dieses Jahres (1978) erreichte mich der Anruf einer Frau: "Eva - erinnern Sie sich noch an einen Herbstnachmittag bei den Dahmens im Chiemgau? Herbst 1969? An den Maler Werner Arndt?" - "Eva? Eine Frau aus München?" fragte ich. "Ja, aus München, damals lebte ich in München. Ich war an jenem Nachmittag mit Werner Arndt gekommen, traf dort Sie und Ihre Frau Eleonora. Schneeflocke nannten Sie sie. Gibt es sie noch?" Ich sagte: "Ja, es gibt Schneeflocke noch und es geht ihr sogar passabel." - Ach, ich meinte - gibt es Sie beide noch?" fragte Eva. "Es gibt uns beide noch", sagte ich und erinnerte mich, mit meinem grauenvollen exakten Gedächtnis, daß ich am 9. Juli. 1977 in meinem Tagebuch gefragt habe, ob ich eines Tages in die Sprache vom Unheimlichen eintreten würde? In diesem Augenblick, da ich zu Eva sagte, es gäbe uns beide, hatte ich den Eindruck, daß ich am Ende dieses Jahres, des fünften Jahrs meiner fortbestehenden inneren Gefangenschaft nach dem Trinkstop, in die Sprache vom Unheimlichen eintreten werde. "Herr Arndt hat in den ganzen Jahren seither oft von Ihnen gesprochen und er läßt durch mich fragen, ob man sich einmal wiedersehen könnte?" - "Das ist möglich", sagte ich und wir trafen die Verabredung.
Gestern also fuhren Schneeflocke und ich nach Eisenbach im Taunus. Wir hielten am Holzplatz eines Sägewerkes und sahen, auf einer Anhöhe, ein Holzhaus in einer wuchernden grünenden Wildnis. Am Fenster dieses Holzhauses erschien ein Gesicht, dann ein Arm, der herauf wies. Wir verließen den Wagen, gingen einen Teerweg hinauf.
Hinter einem Staketenzaun erschien Werner Arndt. Wir durchschritten sein Gartentor. Dann sah ich die Cager, die Wesen, die Existenzen in den offenen Käfigen. Ich sah zuerst einen Kauernden. Sein offener Käfig war beengt. Kopf, Hände und Füße des Kauernden waren erhalten, sonst blickte ich in Hohlheit, aufgebrochene Seite, Leere. Ich sah mich.
Werner Arndt in Eisenbach mit seinen Cagern
Ich fragte Arndt dann noch: "Gibt es, für Sie, einen Unterschied zwischen Leiden und Unglück?" Er antwortete: "Leiden können ein für die schöpferische Arbeit fruchtbarer Zustand sein, wenn man diesen Zustand akzeptiert. Unglück kommt von außen und kann Leid auslösen." Ich erlebe es ganz anders, aber das ist ja das Lebendige in allen Sprachen, daß unterschiedlichste Verstehensweisen der selben Wörter Gespräche ermöglichen, Gewalt mindern. "Woran leiden Sie am meisten?" fragte ich. Arndt: "An der Einsamkeit, diesem geringen Kontakt zu Menschen, die Kunst interessiert." Ich sagte: "Ich empfinde meine Einsamkeit als wundersame Gabe, aber das Alleinsein und die Einsamkeit dazu, das ist oft kaum auszuhalten. Das Alleinsein empfinde ich als den geringen Kontakt zu mir selber, der meinen Hang zur Selbsteinschließung fördert. Änderte ich es nicht immer wieder, ich wäre längst tot."
Werner Arndt überlegte, dann sagte er: "Ich komme durch unsere Unterhaltung darauf, daß Einsamkeit wahrscheinlich geringer Kontakt zu mir selber ist." Wiederum ist es ganz anders bei mir und wiederum verstand ich Arndt gut, weil ich zur Kenntnis nahm, was er mir von sich sagte. Ich fragte: "Was betrachten Sie als ihr größtes Unglück?" - "Künstler geworden zu sein", sagte der nüchterne Mann. "Wie erleben Sie innere Gefangenschaft?" fragte ich. "Als meinen Zwang, solche Wesen in solchen Käfigen machen zu müssen", sagte er. "Wie reagierte ich bei meinem Besuch in Eisenbach auf den unerwarteten Anblick Ihrer Arbeiten?" fragte ich Arndt, als er mich vor einer Woche in Frankfurt besuchte. "Sie waren sehr schweigsam. Ich fühlte sofort dieses intensive Schweigen. Zu Eva sagte ich später, daß ich Sie schon vor Jahren für einen Menschen gehalten habe, der sich vorwiegend schreibend äußert.
Ich war, damals im Chiemgau und jetzt, bei Ihrem Besuch in Eisenbach, übrigens ganz sicher, daß Sie verstehen, was ich mache." Ich fragte: "Wie reagierte ich auf die Menschenreste in den Käfigen? Antwort: "Sie sagten schließlich knapp und eindeutig, mit diesen Restexistenzen in den offenen Käfigen könnten Sie sich identifizieren und es sei Ihnen am unheimlichsten, daß die Käfige offen sind, denn damit sei es nun vollends klar, daß da wohl nie einer mehr herauskäme." - "Habe ich das tatsächlich gesagt?" fragte ich und Arndt sagte: "Wörtlich. Denn Sie waren ja viele Jahre so kaputt wie diese Wesen da, so leer, so ausgebrannt." Ich sagte: "Der Anblick solcher Wesensreste muß überzeugend erhalten bleiben."
"Wie machen Sie so einen Cager?"
fragte ich ihn. "Zuerst suche ich einen Menschen, der bereit ist, sich abformen zu lassen", sagte er. Ich war sehr berührt, als Arndt sagte. "Zuerst suche ich einen Menschen". Mir fiel ein Stoßgebet aus der Anfangszeit meiner Niederschrift von "Kapitulation. Aufgang einer Krankheit" ein, während ich Sprache suchte: "Gott, gebe mir einen fragenderen Geist - Abenteuer, gelinge!" Arndt fuhr fort: Das Modell zieht sich aus. Ich weiche Gipsbinden ein und lege sie über die Teile des Körpers, die ich abformen will." Mit Schrecken stellte ich mir vor, daß ich mit solchen Gipsbinden bedeckt sei. Ich sagte: "Ich lebe oft mit dem Gefühl, daß nur noch meine Stirn, meine Hände und meine Füße leben, daß alles andere leer und ausgehöhlt ist bei mir." Arndt sagte: Nach einer Viertelstunde werden die Binden hart und ich nehme sie ab. Dann isoliere ich die gewonnenen Gipsformen mit einem wachshaltigen Spezialmittel, damit sie ihre Saugfähigkeit verlieren. Anschließend lege ich kunstharzgetränkte Glasfaserstränge, Matten und Gewebe in die Negativformen.
Ich stellte mir vor, daß mir das alles zustoßen könnte. Dabei war mir, als entferne der Künstler diejenigen Teile meines Leibes, die bisher noch in ihrer mir vertrauten Weise da waren, meine Stirn, die Hände und die Füße. "Wenn, nach einigen Stunden, das Ganze hart ist, weiche ich die Gipsform mit der Glasfaser-Polyestereinlage in einen Wasserbehälter ein. Die Binden saugen sich voll Wasser und lassen sich dann von der Form lösen", sagte Arndt. Ich sah meine Stirn, die sich von der Modellform ablöste: ihre Erhaltung bis heute verdanke ich meinem Nichttrinken und der Hilfe der Freundinnen und Freunde in meiner Alkoholikertruppe. Dann sah ich meine Hände, die sich von der Modellform ablösten: ihre Erhaltung trieb mir Tränen der Beschämung in meine erloschenen Augen. Denn mein Gehirn, lediglich Schaltstelle für die Liebe anderer Menschen zu meiner aus Hochmut, Jähzorn und Verachtung verdorbenen Existenz, mein Hirn war im übrigen vollkommen wertlos, weil sich in mehr als zwanzig Jahren geduldiger Schreibschinderei, alles Denken und Harren dank fremder Liebessprache in meine Hände verlagert hatte. Schließlich sah ich, wie meine Füße sich aus der Abformung lösten. Sie waren der Rest dessen, was nicht hohl wurde in meinem Leben, mit meinen Füßen erreichte ich, nun seit Jahren, immer wieder die reifende Tür zur Truppe. Arndt sagte: "Die nun gewonnenen Positiv-Menschenteile sind bereits eingefärbt und zwar, nach meinem Wollen, in grauen Schimmeltönen." Die Mitteilung des Künstlers erschütterte meinen Hochmut, der sich nicht geändert hat durch mein langes Nichttrinken. Ich wurde, wie von einer fremden machtvollen Hand, aus meinem Stuhl hochgehoben, ich wollte Werner Arndt in aufwogender Liebe umarmen, aber ich war so krank, daß ich mich nicht getraute, sondern mich ohnmächtig wieder hinsetzte, Arndt durchdringend und schweigend anschaute, während mir aufging, daß das demutsvolle graue Denken vieler Nichtsüchtiger und Süchtiger mir auch an jenem Tag half, meine anmaßenden Erwartungen zu mindern und mit unverdientem Glück an diesem Tag williger zu meinen drei Wesensresten zu sein.
"Nun gehe ich zu meinem Probekäfig aus Eisen," fuhr Arndt fort, "ich kann den Käfig verkleinern oder auch vergrößern, ich nehme die Teile und versuche, zunächst improvisierend, meine Konzeption, die für die jeweilige Abformung richtige Käfiggröße zu finden. Es hat sich ergeben, daß ich Käfige mache, welche die in ihnen hinkünftig Existierenden fühlbar beengen".
Ich dachte an mein Käfigleben mit Schneeflocke und mit mir selber und an Schneeflockes Käfigleben mit mir. Es war fühlbare Beengung für uns beide, aber es war (für mich in jedem Fall) auch bejahte innere Gefangenschaft mit dieser Frau. Auf einmal sah ich mich, in den das Kunstwerk entmystifizierenden Worten Werner Arndts, mit meinen Resten Stirn, Händen, Füßen. Direkte geistige Schau dank der kargen Werkstattsprache Arndts: meine Stirn zur Umschalung meiner Geistesleere, meine Hände zum Schreiben, meine Füße zum Hin und Hergehen im Käfig und im Arbeitsraum. Arndt fuhr fort: "Wenn im eisernen Modellkäfig die richtige Größe für den Cager gefunden ist, fertige ich aus Holzlatten ein Negativmodell des Käfigs. Es wird gewachst, sodann mit Glasfasersträngen und mit Harz ausgelegt." Und wiederum sah ich mich, wie ich bin, suchtkrank und trocken, autoritär und geil, geduldig im Schaffen, demutsvoll vor Schwachen, hochmütig gegen mich und kochend in diesen Widersprüchen. Die unkäufliche und ruhige, entgegenkommende Sprache des Mannes, der das Anstößige in mir freilegte durch seine Cager, war an diesem Tage jene geistige Fremdhilfe, die mich leitete, mein Käfigleben mit mir und mit Schneeflocke und mit vielen von euch ohne Selbstmitleid zu bejahen, mit radauloser Liebe und ohne Illusionen.
Werner Arndt, das fühlte ich, kam zu einer abschließenden Feststellung: "Nun werden dann die Holzlatten abgeklopft. Dann montiere ich die Menschenreste fest in den für sie gemachten und beengenden Käfig. Die Käfige haben keine Wände." Wir standen auf und gingen beide zum Fenster meiner Schreibeinöde, dieser Festung des Alphabets, der bleibenden Architektur wachsender Liebe zu allen Wesen in bejahter innerer Gefangenschaft. Wir betrachteten die großen Kastanien draußen in der Hansaallee, ein Meer aus frischem Grün. "Gewöhnlich suche ich keine ganz jungen Menschen für meine Cager. Würden Sie mir eines Tages erlauben, einige Teile von Ihnen abzuformen?" fragte Arndt. Mich packte Furcht, aber dann sagte ich:
"Gewiß - wenn Sie es wünschen."
(1978. Mit freundlicher Genehmigung des Autors nachgedruckt.)
Die Texte und Bilder entstammen dem Katalog Werner Arndt zur Ausstellung in der "Ostdeutschen Galerie Regensburg 1982"
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